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Russische Agrar-Erfolgsgeschichte in Rosenheim

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

„Landwirtschaft in neuen Dimensionen – Chancen und Auswirkungen für die Landwirtschaft in Bayern“ – so lautete der Titel eines Vortrags, zu dem der Kreisverband der Volksbanken Raiffeisenbanken Rosenheim und Umgebung in die Inntalhalle nach Rosenheim eingeladen hatte. Hauptreferent des Abends war der deutsche Stefan Dürr als Leiter des russischen Agrarunternehmens Ekoniva, dessen Zahlen für bayerische und deutsche Landwirtschaftsverhältnisse staunen, aufhorchen und nachdenken ließen.

 Über 500.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche verfügt die Ekoniva-Gruppe, was in etwa der Größe der drei Landkreise Rosenheim, Traunstein und Ebersberg entspricht. 10.000 Mitarbeiter sorgen sich um 135.000 Rinder, um 70.000 Milchkühe, um 1.780 Tonnen Milch pro Tag und um 150 Millionen Euro Umsatz allein im Landwirtschafts-Maschinen-Handel im Jahr. Stefan Dürr stammte von einem kleinen, 14 Hektar großen Betrieb an der Mosel, er kam 1989 als junger Praktikant des Deutschen Bauernverbandes erstmals in die Sowjetunion, hat dort das Unternehmen Ekoniva gegründet und sich von Anfang an in einem sehr herzlichen und weiten Land mit großen landwirtschaftlichen Möglichkeiten wohl gefühlt. Heute ist Dürr Europas größter Milchproduzent und weltweit der siebtgrößte Milcherzeuger mit Betrieben vom Schwarzen Meer bis Sibirien. „Daheim hatten wir vier Kühe, die kannte ich natürlich alle beim Namen, aber 70.000 Kühe, das bedarf einer starken Organisation und auch mancher Kompromisse“, so Stefan Dürr, der mit seinem weiter wachsenden Unternehmen im heurigen Jahr rund 750.000 Tonnen Milch erzielen möchte. Dann sagte Dürr: „In unseren Standorten sind wir oft der größte und einzige Arbeitgeber, das verpflichtet uns zu sozialer Verantwortung, unter anderem beim Bau von Kindergärten und Schulen. Darüberhinaus werden wir durch fehlende Gewinnsteuer und Investitions-Förderungen staatlich unterstützt. 1.000 Praktikanten im Jahr, eine eigene Nachwuchs-Akademie und zufriedene Mitarbeiter sind Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg“. Das Bewusstsein in Russland für die Landwirtschaft ist nach seinen Ausführungen gut, da die Hälfte des Einkommens für die Lebensmittel ausgegeben wird (in Deutschland sind es weniger als zehn Prozent) und da es dort nicht ein so hohes Satt-Sein-Gefühl gibt wie in Deutschland. Das Liefer-Embargo der Europäischen Union gegen Russland aufgrund der Krim-Affäre kommt dem Agrarunternehmen zugute, gleichwohl Stefan Dürr froh wäre, wenn diese Wirtschafts-Auseinandersetzung wieder beendet werden könnte. „Aus innenpolitischen Gründen kann Staatspräsident Putin, der persönlich ein großer Unterstützer der Landwirtschaft ist, nicht den ersten Schritt machen, aber wenn die EU ihrerseits einen ersten Schritt macht, dann würde Putin seinerseits zwei weitere Schritte in Richtung Europa unternehmen“, gemäß dieser Einschätzung von Stefan Dürr machte sich die anwesende EU-Parlamentarierin Prof. Dr. Angelika Niebler Notizen. Viele weitere Notizen wurden in der Inntalhalle gemacht, als Dürr erläuterte, dass Russland in der Fleisch- und Getreide-Produktion stark exportiert und dass diese Exporte in den nächsten fünf Jahren   noch verdoppelt werden sollen, aber bei Milchprodukten der eigene Markt noch unterversorgt ist. Dürr, der seit kurzem auch Vorsitzender vom russischen Milchverband ist und innerhalb diesem die unterschiedlichen Interessen von Erzeugern und Verarbeitern intern regeln kann, setzt zukünftig mehr auf ökologischen Landbau, auf artgerechte Tierhaltung und auf den Umweltschutz. „Milch aus dem Bioreaktor ist keine Milch von der lebenden Kuh, deshalb machen wir jährlich für 40.000 Kinder die Milch zu einem hautnahen Erlebnis, das tut unserem Image gut und diese Imagepflege wurde nach Ansicht von Herrn Dürr in Deutschland versäumt“. Gegenüber Deutschland bezeichnete Dürr in Russland als Vorteile für die aktive Landwirtschaft: billige Flächen, günstige Arbeitskräfte, hohe gesellschaftliche Akzeptanz und politische Unterstützung. Um im europäischen und globalen Wettbewerb bestehen zu können, muss sich Deutschland eigener Stärken bedienen, dies sind unter anderem das hohe Eigenkapital, gutes Fachwissen in der Breite, familiengeführte und hoch motivierte Betriebe und Kunden vor der Haustüre mit bewusstem Ernährungsverhalten. Aber steigende Auflagen, so Dürr weiter, Volksbegehren als politische Salami-Taktik  und eine Bevölkerung, die vergessen hat, was es heißt, nicht satt werden zu können behindern in Deutschland landwirtschaftliches Wirken. Die gesamten Ausführungen, ergänzt mit 96 Folien-Seiten wurden mit Stille während des Vortrags und mit lautem Beifall am Ende belohnt.

Eingangs der Zusammenkunft hieß Kreisdirektor Agrar Christian Bürger von den Volksbanken Raiffeisenbanken zahlreiche Ehrengäste willkommen, unter ihnen Ehren-Landesbäuerin Annemarie Biechl, Ehren-Kreisbäuerin Burgl Gschwendtner, Ehren-Kreisobmann Sepp Ranner, Kreisbäuerin Katharina Kern, Kreisobmann Josef Bodmaier, die Landtagsabgeordneten Otto Lederer und Klaus Stöttner, Bezirksrat und RegRo-Vorsitzender Sebastian Friesinger, Vorsitzenden Hubert Kamml von den Volksbanken Raiffeisenbanken Rosenheim und Umgebung sowie Markus Winkler vom Genossenschaftsverband. Vorsitzender Kamml bat die große Zahl der Landwirte, dass die über 125jährige Tradition seines Hauses in Form von gemeinsamer Aufgabenbewältigung auch in Zukunft gültig bleiben soll und er sagte: „Wenn es uns heute auch so gut wie noch nie geht, dürfen wir uns nicht ausruhen, sondern wir müssen das Heft des Handelns in der Hand und die Zukunft im Auge behalten“. Stefan Dürr, den er beim jüngsten Besuch auf der Grünen Woche in Berlin persönlich kennengelernt hatte, bezeichnete er als bodenständig, der den Bezug zu seiner Heimat nicht verloren hat und er dankte ihm besonders dafür, dass er für den Vortrag in Rosenheim seinen Familien-Urlaub in Südtirol unterbrochen hatte. Desweiteren sagte Kamml Dank für erfolgreiche Landwirtschaft im Landkreis Rosenheim seinem Agrardirekter Christian Bürger und Christian Rinser von der Biogasgruppe Rosenheim. Dessen Betrieb in Schechen besuchte Stefan Dürr vor der Inntalhallen-Veranstaltung. Klaus Gschwendtner, stellvertretender Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes ging in seinem Grußwort auf das aktuelle Volksbegehren ein und er sagte hierzu: „Unsere Gesellschaft hat viele Bedürfnisse, aber nicht nur die Bauern sind schuldig, wenn es um Umwelt- und Artenschutz-Themen geht, Jeder kann mit seinem Handeln Einfluss auf die Natur nehmen – und so fordern wir, dass sich die Politik noch deutlicher zur Landwirtschaft äußern muss“. Ein weiteres Grußwort entfiel, weil der geplante Besuch von Albert Deß, dem Ausschuss-Vorsitzenden Agrar im EU-Parlament wegen eines aktuellen Milchgipfels nach Brüssel abgesagt werden musste.

In der abschließenden Diskussion stellte sich Dürr noch vielen Fragen, ebenso bildete sich nach Ende der Veranstaltung eine Warteschlange von Interessierten, die noch persönlich mit ihm einen Gedankenaustausch vornehmen wollten. Die musikalische Umrahmung besorgte die Gruppe „Zoassaringa Zwiefache“.

Foto/s: Hötzelsperger – Eindrücke von der Veranstaltung in der Inntalhalle Rosenheim mit Stefan Dürr.

Foto 1: von links: : v.links: Christian Bürger, Kreisdirektor Agrar der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Rosenheim und Umgebung, Prof. Dr. Angelika Niebler, Mitglied des europäischen Parlaments und Vorsitzende der CSU Europagruppe, Stefan Dürr, Geschäftsführer der Ekosem Agrar und größter deutscher Landwirt in Russland, sowie Hubert Kamml, Vorsitzender des Kreisverbandes der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Rosenheim und Umgebung

Foto 2: mit Bezirksrat Sebastian Friesinger (re.)

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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