Wohn- und Geschäftskomplex – gebaut mit dünnen Hölzern von nur 4 cm Durchmesser
Das Kontinentalklima in der 76 500 Einwohner zählenden Stadt Rapid City (+ 40 Grad im Sommer und – 40 Grad im Winter) ist zudem auch noch sehr trocken. Die Stadt liegt in South Dakota, der nördlichen Mitte der USA. Durch den nahen Mount Rushmore mit den vier, je 18 Meter hohen Präsidentenköpfen, ist sie auch ein Touristenmagnet. Eine weitere Besonderheit dieser Stadt ist, dass sämtliche Präsidenten der USA in lebensgroßen Bronzefiguren, innerhalb des Stadtgebietes aufgestellt sind.
Mitten in der Stadt entdeckte ich eine faszinierende Großbaustelle. Mit dünnen Hölzern von nur 4 cm Durchmesser wird gerade ein Wohn- und Geschäftskomplex errichtet. Nur die Tiefgarage ist aus Beton. Das darüberliegende Erdgeschoss wird für Geschäfte und Restaurants genutzt, in den fünf Stockwerke darüber, entstehen 99 Wohnungen, erzählte mir der Vorarbeiter, der mich ungezwungen durch die Baustelle marschieren ließ.
Nach und nach werden die Standarthölzer mit dem Kran hochgehoben und an Ort und Stelle von den Zimmerleuten zu Wänden und Decken zusammengebaut. So wie bei uns beim Bau eines Ziegelhauses die Steine von den Maurern aufeinandersetzt werden, werden hier die Hölzer zusammengenagelt. Auch die Treppen bauen die Zimmerleute bereits bei jedem Stockwerk gleich mit. Ein Treppenbelag wird zum Schluss nach der Ausbauphase aufgebracht.
In Amerika wird nicht in Zentimetern und Metern gebaut, sondern in Zoll und Fuß, was früher, bevor ich vor 19 Jahren ganz in der Nähe (nur gut 100 km entfernt) das Haus im Lakota-Indianer-Reservat baute, für mich eher befremdlich war. In der Praxis, stellte ich allerdings damals schon fest, ist das Zwölfersystem wesentlich besser, weil es durch zwei, drei, vier und sechs, teilbar ist. Auch das Längensystem in Fuß von 30,5 cm finde ich besser, da vier Fuß, 122 cm, ein ideales Maß, z. B. bei der Breite von Gängen oder Toiletten ist. Auch die Standartlänge von 8 Fuß (244 cm) passt ohne abzusägen, auf die vorgegebene Raumhöhe. Bei diesem System gibt es fast keinen Verschnitt, weil alle Einbaugewerke von der Badewanne, über Bodenbeläge, bis zu Fenstern und Türen, auf Fußmaße standardisiert sind. Ausgesteift wird mit Platten. Es braucht keine schräge Abstützung eingebaut zu werden. Das Holz hält die Platte und die Platte steift das Holz aus, ähnlich wie die Glasplatte in einem Bilderrahmen. Dadurch können auch die dünnen tragenden Wand-Hölzer, die in nur 16 Zoll (rund 40 cm) Abstand stehen, sich seitlich nicht wegbiegen. Der Abstand von Nagel zu Nagel wird dabei statisch berechnet festgelegt.
Diese Bauweise ist näher an der Natur, wie ich immer wieder feststelle. Sie arbeitet auf demselben, genial sparsamen Prinzip der dünnen Wände und geringen Abstände. Schneidet man, z. B. einen Getreidehalm mit einem scharfen Messer schräg durch, kann man die vielen dünnen Zwischenwände und kleinen Kammern sehen. Wie effektiv dieses Prinzip ist, wird einem erst klar, wenn man den Halm verhundertfacht. Der einen Meter hohe Halm hat am Boden etwa acht Millimeter Durchmesser. Bei 100 Meter Höhe wäre der Durchmesser am Boden lediglich 80 Zentimeter. Da ist allerdings die Holzrahmenbauweise noch weit entfernt, aber sie läuft in die richtige Richtung. Auch bei uns wird sie mittlerweile immer häufiger angewendet, allerdings noch nicht so effektiv wie in Amerika, wo weit über 90 % aller Häuser in „timber framing“ gebaut wurden und immer noch werden…
Text und Fotos: Hans Fritz – www.hans-fritz.de