Leitartikel

Bäuerliche Krippe:  Das Lebenswerk von Jakob Jocher in Diessen

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Ein Beitrag von Beate Bentele:  „Wir wissen gar nicht, was für bekannte und interessante Leute in Diessen leben – und auch gelebt haben.“ Das hat vor ein paar Tagen ein Einheimischer gesagt. Recht hat er. Dabei war nicht die Rede von den Lauten, Wichtigen. Nein. Es ging um kreative Freigeister, die in der Stille und Schönheit der vom Ammersee-geprägten Natur unauffällig und zufrieden ihren Kunstfertigkeiten und Handwerklichkeiten nachgehen und ihren Träumen Flügel wachsen lassen. Einer von ihnen war Jakob Jocher (1885-1974).

Unter hohen Linden drückte sich ein uraltes bescheidenes Häuschen in den Schatten der evangelischen Kirche, die als ehemaliges Schützenhaus auch nicht groß ist. Es hatte den Hausnamen „beim Holzschnitzer“, weil dort der Diessener Schreiner lebte, der sich zuerst mit der Kerbschnitzerei beschäftigte, dann mir Flachschnitzerei und sich später dem Figurenschnitzen widmete. Alles mit Erfolg. Einmal ist er gefragt worden, was ihn denn an diesem Broterwerb gefalle. Krank sei er immer gewesen, schon als Kind, antwortete er. Toben mit den Buben aus dem Dorf hat er auch nicht können. Als er eines Tages den Drang spürte, aus Holz kleine Wunderwerke herauszuarbeiten, ließ ihn dieses Handwerk nicht mehr los. Bald bemerkten die Nachbarn, welche Schätze das bescheidene Heim barg, allein die Kassettendecke in der Stube galt als ein wahrhaftes Meisterwerk. Eines Tages fing er an, eine Krippenlandschaft zu bauen, die mit ihren Darstellungen zu den Themen Herbergssuche, Weihnacht mit Hirten, den Heiligen drei Königen und dem Haus Nazareth wuchs und wuchs … und die halbe Stube eingenommen hatte. Der Überlieferung nach arbeitete er wohl fast sein ganzes Leben an der Krippe, die alle entzückte, die ins Jocher-Haus kamen, „ums Kripperl zu schaugn.“

Originelle Gewandungen und nötige Dingelchen – Dazu schrieb die heimatforschende Schwester Aquinata Schnurer „wie Mutter, Ehefrau und deren Schwester aus kleinsten Stoffresten die originellen Gewandungen und nötigen Dingelchen schufen, die Staunen erregen. Was trugen nur die Kamele und mächtigen Elefanten auf ihren Rücken! Was brachten die anbetenden Hirten zur Krippe!“ Erst die anderen Schätze, schrieb Aquinata weiter, Lüster, geschnitzte Vertäfelungen, Stühle im Bauernbarock mit reichgeschnitzten Lehnen. Daneben führte er meisterhafte Reparaturen in der Klosterpfarrkirche (heute Marienmünster) aus, in der er auch Jahr für Jahr treuer Helfer beim Aufbau der Mysterien-Bühne zu Weihnachten war. „Es bildet ein Talent sich in der Stille“ steht über dem Leben des schlichten frommen Mannes.

Jocher Kruppe zieht in der Klostermühle ein – 80-jährig hat Jakob Jocher seine Krippe mit der Figurenvielfalt in der Diele der Dießener Klostermühle, gegenüber vom Kloster St. Vinzenz, aufgebaut. Hier hat sie eine Heimat auf Dauer gefunden, weil Jochers Frau eine geborene Stadler war und aus der Mühle mit E-Werk stammte. „Möge sein Andenken nie vergessen sein“, so ist es im Heimatbuch festgeschrieben. Sein sichtbares Andenken, das historische Häuschen neben der evangelischen Kirche mit der viel gelobten Kassettendecke ist nach langen Debatten im Marktgemeinderat Diessen vor mehr als zehn Jahren abgerissen worden. Die berühmte Jocher-Krippe hingegen ist im Zwei-Jahresrhythmus vom Klostermüller Albert Stadler aufgebaut und sehr feinsinnig gepflegt worden. Bis heute hat dessen Sohn Georg Stadler die Krippe immer wieder aufgebaut, bis er ihr vor zirka zehn Jahren einen festen Platz in der heute stillgelegten Getreidemühle einrichtete. Sicher hinter Glasscheiben aufgebaut, wird sie, wenn Besucher kommen, in der Art beleuchtet, wie Jocher das biblische Geschehen schon in frühen Zeiten mit damals üblichen Laternchen erhellte. Es bedarf gewisser Zuwendung, um die Gesamtkomposition zu erfassen. Die besteht aus einer großen Kulisse in Form eines Bergstocks mit dem Geburtsstall in der Mitte. Linker Hand sind Höhlen für die Hirten und Schafställe eingebaut. Eine davon ist an ihrer Rückwand mit Spiegeln gestaltet, damit der Betrachter die davor platzierten Tiere mehr oder weniger ins Unendliche fortgesetzt sieht. Rechts schließen sich Gebäude für das Bild der Herbergssuche an mit orientalischem Palast, mit Türmen und Toren. Die gesamte Krippe ruht auf Standbrett von zirka 12 Quadratmetern.

Besonderes Augenmerk fordern die Tiere und Gliederpuppen ein. Sie sind etwa 25 Zentimeter hoch. Köpfe, Rumpf und Hände, Arme und Beine sind aus Holz geschnitzt Die Köpfe samt Haar und Bärten sind bemalt und jede Figur aufwändig eingekleidet. Die Heilige Familie ist für die verschiedenen Szenen dreimal vorhanden. Die Szenen leben von vier Engeln, von Königen mit Dienerschaft, Hirten Bauern, Fischern und auch einem Flötenspieler. Jocher verstand es, die Figuren je nach Rang und Stand individuell darzustellen und ihnen die Charaktere ins Gesicht zu schreiben (zu schnitzen). Interessant ist auch die Überlieferung, dass Jocher mit zahllosen Tieren – vor allem den Schafherden – den Anfang seiner Krippe markierte. Er legte großen Wert auf feine Arbeiten, was ihm nicht gefiel, hat er erst gar nicht in die Geschichte der Heiligen Nacht eingefügt. Erwähnenswert ist auch die Darstellung und Gestaltung der orientalischen Darstellungen und Gestaltungselemente. „Nie“, sagt Georg Stadler, „war der Onkel verreist, schon gar nicht im Orient.“ Heute frage man sich, wie er die Details so fantasievoll anfertigen konnte. Wohl habe er Bücher und Bilder angesehen und sich anregen lassen.“

Seitdem die Jocher Krippe vom Stadler’schen Wohnhaus in die stillgelegte Klostermühle umgezogen ist, kann sie täglich besichtigt werden. Parallel dazu zeigt Georg Stadler den Betrieb der vollständig erhaltenen alten Klostermühle, interessant erweitert mit Fotografien aus den Anfängen des Diessener E-Werks (gegründet 1895 von Georg Gröbel) mit Urkunden, Fotografien, Archivalien und vor allem erlebenswert dank technischer Zeugen einer reichen Vergangenheit am Mühlbach, der Lebensader von Diessen. Mit seinen 125 Jahren gilt das Elektrizitätswerk als eines der ältesten freien Elektrizitätswerke Deutschlands. Im Raum Diessen am Ammersee ist es Grundversorger und Netzbetreiber für eine sichere Energieversorgung. Wegen Corona kann weder die Jocher Krippe bis auf unbestimmte Zeit besucht noch Führungen durch den ehemaligen Mühlenbetrieb gebucht werden.

Text | Fotos Beate Bentele

Elektrizitätswerk Diessen, Klosterhof 22 (gegenüber Marinemünster), 86911 Dießen am Ammersee Telefon: 08807 217 – Unsere Bilder zeigen Ausschnitte aus der Dießener Jocher Krippe sowie Gerod Stadler in seinem Mühlen-Museum

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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