Kultur

Buchtipp: Katharina Höftmann Ciobotaru, Alef

Veröffentlicht von Günther Freund

Die Lebensgeschichte einer deutsch-israelischen Familie: Deutsche liebt Israeli, wandert nach Tel Aviv aus und soll zum Judentum konvertieren.

Maja Pagel wächst in Rostock in der ehemaligen DDR auf. Ihre Mutter Astrid arbeitete bevor sie eine Hochschul-Karriere begann in der Singer-Nähmaschinenfabrik und hat ein leichtes Alkoholproblem, profitiert aber von der Wende. Ihr Vater Wolf, Dozent an der Uni, verliert nach der Wende seine Dozentenstelle, weil alle wichtigen Posten durch Professoren aus dem Westen ersetzt wurden und findet keine Arbeit mehr. Die Liebe von Majas Eltern ist schon lange in Gleichgültigkeit versandet, aber das gemeinsame Kind verbindet sie wieder miteinander, auch ohne Trauschein. Maja ist ein herausforderndes Kind, fantasievoll und voller Ideen. Als die Mauer fällt, setzen sich ihre Eltern sofort ins Auto und fahren mit ihr nach Hamburg, wo Tante Susi, die schon lange vor dem Mauerfall in den Westen „rübergemacht“ hat, inzwischen lebt. Später machen sie jedes Jahr Auslandsreisen und Maja begreift erstmals, dass es da draußen noch eine andere Welt gibt. Nach dem Abitur studiert sie in Berlin.

Eitan ist Jude und seine ewige und einzige Heimat ist Israel. Großmutter Saida und Großvater Gavriel mütterlicherseits stammen aus Mosad im Irak, von wo sie wegen Pogromen nach Israel ausgewandert sind. Ihre Tochter Jaffa, die Mutter von Eitan, wurde in Israel im Lager geboren und ist als Kind in Wellblechhütten aufgewachsen. Eitans Vater Itzchak ist mit Holocaust-Überlebenden aufgewachsen, dessen  Mutter Bella und deren Bruder Sigi sind in Deutschland aufgewachsen und wurden nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert. Bella hat überlebt, vom Bruder hat man nie wieder etwas gehört. Eitans Onkel Mordechai ist im Jom-Kippur-Krieg gefallen.

Als Maja und Eitan aufeinander treffen ist es sofort die ganz große Liebe. Eitan zieht nach Berlin und anfangs ist alles schön. Bald aber fühlt ér sich nicht mehr wohl in dem Land, das ihn bei einem Schüler-Austauschprogramm so beeindruckt hatte und das ihm damals wie das reichste Land der Welt vorgekommen war. Jetzt prallen zwei Welten und zwei Leben aufeinander und Eitan erlebt, wie grundverschieden die Menschen in Deutschland und Israel sind. Als er bei einem Besuch bei Tante Susi, die inzwischen in einer Patchworkfamilie mit dem ziemlich rechtsradikalen Roland zusammenlebt, eine Fahne mit einem Hakenkreuz an der Wand sieht, wird ihm auch erstmals bewußt, auf welcher Geschichte ihr Leben aufbaute. Der Holocaust, über den Maja nur wenig wußte, denn in der Schule war das nicht auf dem Lehrplan, wird jetzt ein Thema. Über Täter- und Opfervolk und die Traumata, die sich über Generationen ziehen, kriegen sie sich immer öfter in die Haare. Und er begreift, sein Land ist nicht Deutschland, sondern Israel, wohin er nach zwei Jahren zurückgeht. Maja folgt Eitan nach Tel Aviv, hat aber große Probleme mit der jüdischen Lebensweise und der hebräischen Sprache, sie fühlt sich nicht zugehörig, entwurzelt. Erst jetzt begreift sie, was es bedeutet deutsch zu sein. Als Eitan von seiner großen Liebe verlangt, dass sie Jüdin wird, sträubt sie sich. Maja, die nicht getauft ist und nicht an Gott glaubt, kämpft mit sich, muss sich entscheiden: Liebe in der Fremde oder Zugehörigkeit in der Heimat. Sie  entscheidet sich für Eitan und beginnt das langwierige Übertrittsverfahren mit Kurs beim Rabbi, koscherem Essen, täglichen Gebeten und wöchentlichen Synagogenbesuchen. Das komplizierte Verfahren und der harsche Umgang der jüdischen Mitmenschen mit ihr zermürbt sie immer mehr, ihre anfängliche Liebe für Israel schwindet, sie bekommt Heimweh, vermisst ihre Familie, ihre Freunde und die deutsche Lebensart. Kann ihre Liebe das überwinden?

Kompromisslos, vielschichtig und bewegend widmet sich die in Rostock geborene und jetzt in Tel Aviv lebende Katharina Höftmann Ciobataru in ihrem brillanten Familienroman den Themen Liebe, Herkunft, Heimat, Schuld, schwierigen Orientierungsversuchen und zweier miteinander in Hoffnung und Leid verbundenen Völkern. Die Autorin erzählt in suggestiver Bildersprache und mit psychologisch überzeugend gezeichneten Figuren eine atmosphärisch dichte Geschichte und versteht es dabei sehr gut die Mentalität der Bewohner der beiden Länder und deren Fremdheit für den jeweiligen anderen sinnhaft zu machen, sowie deren Kultur und Geschichte nahe zu bringen. Die emotionale und sensible  Familien- , Liebes- und Völkergeschichte ist sehr empfehlenswert.

Buchprofile-Rezension von Günther Freund

Katharina Höftmann Ciobataru , Alef
ECCO, 2021, 432 S. , 22,00 €
ISBN/EAN: 9783753000008

Redaktion

Günther Freund

1944 in Bad Reichenhall geboren, Abitur in Bad Reichenhall, nach dem Studium der Geodäsie in München 3 Jahre Referendarzeit in der Vermessungs- und Flurbereinigungsverwaltung mit Staatsexamen, 12 Jahre Amtsleiterstellverteter am Vermessungsamt Freyung, 3 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Zwiesel und 23 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Freyung (nach Verwaltungsreform mit Vermessungsamt Zwiesel als Aussenstelle). Seit 2009 im Ruhestand, seitdem in Prien am Chiemsee wohnhaft.

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