Brauchtum

Brauch des Wolfauslassen im Bayerischen Wald

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Jedes Jahr am Vorabend des Martinitages findet das Wolfauslassen im Kirchberger Land seinen Höhepunkt auf dem Amthofplatz, wo sich die „Wölfe“ aus den umliegenden Dörfern treffen.

Seit 1964 wird der Brauch des Wolfauslassens in Kirchberg gepflegt. Wie die Alten noch aus eigenen Erlebnissen berichten, gab es bis Mitte der sechziger Jahre rund um Kirchberg noch “Hiater”. Zu Martini war das Hüten vorbei und das Vieh in den heimischen Ställen zurück. Die Viehhüter holten sich den Lohn für ihre Dienste bei den Bauern ab. Vor allem die Hüterbuben versuchten, den kargen Lohn für die Arbeit mit dem Hirtaspruch aufzubessern. Getreu den Gepflogenheiten ihrer Vorfahren schepperten sie mit den Glocken des Weideviehs und schnalzten mit den “Goißln”, obwohl es damals schon keine Wölfe mehr in der Gegend gab.

Die Tradition des Wolfauslassens wurde in Kirchberg aber nahtlos weitergeführt. Zunächst noch unorganisiert, nahm sich ab 1973 der Trachtenverein “Gotthardsbergler” der Weiterführung des Brauchs an. Vor allem Vorstand Heinrich Rockhoff hat sich darum verdient gemacht.

In den Dörfern und Ortsteilen findet das Wolfauslassen bereits Tage zuvor statt. Am Vorabend von Martini ziehen die sechs „Wölfe“ aus Sommersberg, Unternaglbach, Mitterbichl, Fischermühle und Kirchberg sternförmig zum historischen Ortskern des Pfarrdorfes. Auf dem steilen Amthofplatz warten die Zuschauer, um das laute Treiben mitzuerleben. 19 Uhr: Der erste Wolf ist schon zu hören. Es sind die Fischermüllner, die taktfest scheppernd über die Regener Straße einziehen. In der Mitte des Platzes formen sie sich beständig weiterläutend zum Kreis, ihren Hirten nicht aus den Augen lassend, um fehlerfrei seinen Anweisungen zu folgen. Plötzlich schweigen sie wie abgeschnitten, eine kleine Pause ist ihnen vergönnt, denn der Hirte will jetzt seinen Spruch aufsagen. Schlag auf Schlag rücken nun auch die anderen Wölfe an. Die Feuerwehrjugend marschiert links von der Höhe kommend ein. Es folgen die Unternaglbacher von rechts unten. Die Sommersberger ziehen von rechts oben auf den Platz. Christian Bauer vom Trachtenverein leitet den Kirchberger Wolf durch den Torbogen des historischen Amthofs und schließlich kommen von links unten die Mitterbichler den Berg herauf.  Alle formieren sich zu einem einzigen großen Wolf und die Hirten übernehmen abwechselnd das Kommando für das gewaltige Glockengeläut. Junge, kräftige Burschen und Männer lassen zwischendurch immer wieder ein Goißl-Schnalzen hören, als gälte es noch heute, die wilden Tiere von ihrer Herde fernzuhalten und sie in den tiefen Wald zurückzudrängen.

Das Ganze dauert mindestens zwei bis drei Stunden, ehe sich die Wolfauslasser in die Wirtshäuser verteilen, wo wiederum die schweren Glocken schier unaufhörlich geläutet werden.

Die Kleidung der jungen Menschen ist mittlerweile nassgeschwitzt, manche werfen während des Läutens schnell einen Pullover weg, der Schweiß läuft von der Stirn und brennt in den Augen, die nur auf eines fokussiert sind: den Gesten ihrer Hirten. Als Zuschauer ist man fasziniert und fragt sich, was diese jungen Leute antreibt, die Grenze ihrer Kraft zu überschreiten. Schmerzen, Muskelkater, blutunterlaufene Oberschenkel werden sie wochenlang an das Ereignis erinnern. Wer es jedoch zulässt, der entdeckt in der Enge eines übervollen Wirtshauses, im Gewühl von Lärm und Anstrengung in den Gesichtern der jungen Mitmenschen vieles: Zusammenhalt, Miteinander, Stolz, Liebe zu Brauchtum und Heimat.

Um sich für die Nacht und das kräftezehrende Läuten und Schnalzen stärken zu können, hat das historische, sonst verwaiste Wirtshaus am Platz, der „Amthof“, an diesem Abend geöffnet. Für die Bewirtung sorgt der Kirchberger Trachtenverein. Die Wolfauslasser und auch einige Zuschauer halten durch bis zum Morgen. Vor dem Gebetläuten riegeln sich die Wölfe ein letztes Mal, bevor die Glocken für ein ganzes Jahr verstummen. Ein gemeinsames Weißwurstfrühstück bildet den Abschluss der anstrengenden, aber schönen Brauchtumsnacht.

Bericht und Fotos: Regina Pfeiffer

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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