Leitartikel

Priener trug 1887 Kreuz bis nach Altötting

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Die unglaubliche Geschiche des Priener Zimmermannes Franz Stocker  –   Scheintot – Gelübde – Kreuz von Prien nach Altötting getragen

Seit Generationen pilgern oder fahren Priener und   Chiemgauer zu Bayerns bekanntesten Marienwallfahrtsort nach Altötting. Mehrere Fahrt- und Gehwegstrecken sind dabei möglich, die kürzesten Entfernungen sind knapp unter 60 Kilometer. Diesen langen Weg an zwei Tagen mit einer schweren Last zu gehen, ist kaum vorstellbar. Doch am 30. Mai des Jahres 1887 machte sich ein gut 20jähriger Priener auf den Weg, um ein Gelübde zu erfüllen. Es war der Zimmermann Franz Stocker von der damals gleichnamigen Zimmerei Stocker inmitten von Prien, der zuvor Unglaubliches er- und überlebte – und der es schaffte, sein Gelübde zu erfüllen.

Die ganze Geschichte hat das sogenannte „Stockerkreuz“ als zentrale Botschaft. Der Priener Zimmermann versprach der Mutter Gottes von Altötting in allergrößter Hilflosigkeit und Not, ein großes Holzkreuz zur Wallfahrtsstätte zu tragen. Fast zweieinhalb Meter lang und über einen Zentner schwer war das Holzkreuz, das er in Grabenstätt aus Eichenholz anfertigen ließ. Noch heute – also 136 Jahre später – nimmt dieses Kreuz inmitten der vielen Votivtafeln gut sichtbar an der Außen-Nordseite der Gnadenkapelle einen gut sichtbaren Platz ein. Doch wie kam es zu diesem Gelübde?

Unglück bei einer Holzfahrt in den Bergen

Die Geschichte des Stockerkreuzes begann mit einem Unglück, als der 22jährige Franz Stocker in den Bergen bei einer Holzfahrt mit dem Schlitten stürzte und unter der schweren Ladung begraben wurde. Dazu heißt es in den Aufzeichnungen des Altöttinger Liebfrauenboten von 1926: „Als man mich bewusstlos herauszog, waren beide Füße abgeschlagen, vier Rippen gebrochen und die Schädeldecke eingedrückt. Mein Gott, war das ein Jammer, wie sie mich in diesem schrecklich zerfetzten, elenden Zustand nach München ins Allgemeine Krankenhaus zu dem berühmten Arzt Dr. Nußbaum brachten. Ich hatte wirklich keine Hoffnung mehr, mit dem Leben davonzukommen und geheilt zu werden“. Nach vielen Operationen fiel der Verunglückte in Starrkrampf, kalt und steif lag er im Bett, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren oder einen Muskel zu bewegen Der Erstarrungszustand wurde so schlimm, dass die Krankenschwestern ihn für gestorben hielten und der diensthabende Arzt schließlich den Tod bestätigte.

Scheintot in der Totenkammer

Dann heißt es weiter: „Und ich hörte und sah alles. Um 7 Uhr abends wurde ich in den Sarg gelegt und in die Leichenkammer hinuntergetragen. Da lag ich nun wie eine dritte Leiche unter den anderen und ich bekam alles um mich herum mit: wie man mir den Rosenkranz um die Hand wickelte, das Sterbekreuz gab oder wie man mich bedauerte und doch wieder glücklich pries, dass ich jetzt erlöst von den Leiden war. Ich hörte, wie man betete: O Herr, gib ihm die ewige Ruhe!“.  Natürlich überkam dem Franz aus Prien entsetzliche Angst vor dem Lebendig-Begraben-Werden. Alle Anstrengungen, den Mund zu bewegen oder einen Muskel zu rühren waren erfolglos. Franz fing an zu beten mit starrem Blick auf das große Kreuz in der Totenkammer. Plötzlich überkam ihm der Gedanke: Mach ein Gelübde zur Mutter Gottes nach Altötting. Und so gelobte er: „Gnadenmutter von Altötting, ich habe keine Hoffnung mehr! Du allein kannst mir durch Deine Fürbitte noch helfen! Du bist mein letzter Hoffnungsstern! Wenn Du mir hilfst, dass ich nicht lebendig begraben werde, dann will ich ein zentnerschweres Kreuz von Prien bis Altötting zu Fuß tragen und dort am Gnadenaltar niederlegen“.

Nach den inbrünstigen Gebeten wurde Franz innerlich ruhiger, um 2 Uhr nachts ging die Tür zur Leichenkammer auf, zwei Wärter holten ihn unerwartet aus dem Sarg und trugen ihn zu den Ärzten in ein Separatzimmer. Dort wurde er mit aller Kraft massiert und auf den Kopf gestellt – und siehe da: der völlig Erstarrte musste sich erbrechen. Es herrschte allseits unbeschreibliche Freude. Aber wie kam es zu der nächtlichen Rückholaktion aus der Leichenkammer? Als bei der mitternächtlichen Wachablösung der Assistenzarzt Dr. Schmiedbauer durch die Säle der Schwerkranken ging, fand er das Krankenbett von Franz leer. Das ließ ihm keine Ruhe und da er hörte, dass der Chefarzt Dr. Nußbaum noch nicht verständigt wurde, wurde dieser um halb zwei Uhr nachts geholt und es folgte die genannte und erfolgreiche Kontroll-Untersuchung.

Neunmal zu Fuß nach Altötting – und doch mit dem Glauben gehadert

Nach langen Wochen der Heilung und Heimkunft nach Prien war es Franz Stocker ein erstes Anliegen, zur Muttergottes von Prien nach Altötting zu gehen – zwölf Stunden und betend. Insgesamt neunmal war dies der Fall – jedesmal ohne Kreuz. Merkwürdigerweise war er hernach nie richtig befriedigt, immer ärgerlicher ging er von der Gnadenstätte fort. „Es war mir, als ob das sonst so liebevoll herabgrüßende Muttergottesauge mich nicht sehen wollte, unruhig und verbittert kehrte ich heim, schließlich war ich ganz verbissen und voll des Grolles gegen Gott und Religion“. Als dann im Frühjahr 1887 seine Freunde ihn einluden, mit ihnen die Fußwallfahrt nach Altötting mitzugehen und er es ablehnte, da sprachen sie ihm ins Gewissen: „Hast es schon vergessen, dass Dir Unsere Liebe Frau von Eding vor dem Lebendig-Begraben-Werden gerettet hat?“. Von diesem Vorwurf war der junge Zimmermann wie vom Blitz getroffen, sprach kein Wort mehr und schaffte anderntags in Grabenstätt das zentnerschwere Kreuz an. „Wie ich dann am 31. Mai 1887 vor dem Gnadenaltar kniete, da hat mich Unsere Liebe Frau nicht mehr vorwurfsvoll und fragend angeschaut. Eine unbeschreibliche Andacht, Freude und Seligkeit war über mich gekommen, so dass ich gar nicht aufhören konnte mit Beten und Danken“. Fortan und fast alljährlich kam Franz Stocker aus Prien wieder zurück zur Mutter Gottes, immer am Heiligabend, weil – so zum Schluss der Erinnerungen – der Weihnachtsabend Mariens schönster Tag ist. Franz Stocker ist am 30. Juli 1929 im Alter von 67 Jahren verstorben.

Die Geschichte vom Stockerkreuz kann bei der Gnadenkapelle in Form eines kleinen Heftchens erworben werden  (www.altoetting-wallfahrt.de).

Fotos: Hötzelsperger  – 1. Das Stocker Kreuz an der Nordseite der Gnadenkapelle – 2. Blick auf die Gnadenkapelle in diesen Frühlingstagen – 3. Die Muttergottes in der Gnadenkapelle als Schwarze Madonna  – 4. Titel des Heftchens „Geschichte des Stockerkreuzes“   5. Im Jahr 2008 feierte der Bayerische Trachtenverband sein 125jähriges Bestehen mit einer Jubiläumswallfahrt – dabei war die Schwarze Madonna zum Gottesdienst im Freien von der Gnadenkapelle herausgeholt.

 

 

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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