Tourismus

Mit Hans Fritz vom Chiemsee in die USA – Bericht 5

Veröffentlicht von Claus Linke

Das Pine Ridge Indian Reservat in South Dakota –

Vor dem Abflug von Washington D. C. über Denver/Colorado nach Rapid City (etwa nördliche Mitte der USA) zeigte mir Dick, der Mann meiner Cousine Linda, noch seine Jagdwaffen. Der 72jährige ist fast täglich beim Jagen oder Fischen. Es gibt Pfeil-Jagdzeiten und Gewehr-Jagdzeiten. Mit seiner Armbrust kann er Hirsche noch aus 100 m Entfernung erlegen. Sie hat ein Zielfernrohr und eine genaue Einteilung für die Entfernungen. Da ein Pfeil langsamer als eine Gewehrkugel ist, fliegt er ja weniger gestreckt, sondern in einem stärkeren Bogen nach unten als eine Gewehrkugel und hat deshalb im Zielfernrohr eine Entfernungs-Skala mit unterschiedlichen Höhenzielpunkten. Zum Spannen hat die Armbrust eine Vorrichtung ähnlich dem eines Flaschenzugs.
Wenn man gegen Westen fliegt, versteht man warum die Indianer von der fruchtbaren Ostküste, die in Klima und Geländeform sehr ähnlich dem unserer mitteleuropäischen ist, in die Gebiete westlich des Mississippis vertrieben wurden. Vom Flugzeug kann man deutlich erkennen, wie es westwärts immer trockener wird. Nach und nach werden die Felder und Wiesen brauner und der in den Ostküstenstaaten noch sehr häufig vorkommende Laubwald, der leider oft ungenutzt bleibt, was ich an den am Boden liegenden Bäumen sehen konnte, westwärts immer weniger wird und dann gegen Mitte der USA fast ganz verschwindet. In Rapid City kam ich mit 2 Stunden Verspätung an. Ich hatte das „Glück“ gleich bei beiden Flügen durch Technik-Probleme, jeweils 2 Stunden warten zu müssen, was aber durch die 4 Stunden Aufenthalt in Denver/Colorado nicht zum Versäumen des Anschlussflugs führte.
Das Schicksal der Indianer wird in den USA immer noch gerne unter den Teppich gekehrt. Richtig begonnen hatte der Genozid ab 1830. Und weil sich die Indianer wehrten und auch manch Weißer ums Leben kam, wurden sie noch in unserer Zeit bis in die 70iger Jahre des 20zigsten Jahrhunderts, oft als die Bösen hingestellt. Dabei beschrieb sie Kolumbus nach seiner Ankunft als sehr friedlich. Lebten 1492 zur Ankunft von Kolumbus noch 5 bis 8 Millionen Indianer in USA und Kanada, waren es um 1900 lediglich noch 250 000. Die meisten sind durch Kriege, Vertreibung, Hunger, europäischen Krankheiten, gegen die sie kein Abwehrsystem hatten und systematischer Ermordung ums Leben gekommen. Für den Rest gibt es heute gut 300 Reservate, von denen aber die Jungen oft wegziehen und lieber in den Städten leben. Ich hatte vor 20 Jahren Kontakte zum Pine Ridge Reservat und wollte deshalb nochmal herkommen.
Um das zu verstehen muss ich aber etwas ausholen: Für die Aktion BHB (Bauern helfen Bauern), entwarf ich 1992 kleine Holzhäuser, damit die Bauern in Exjugoslawien nach dem Krieg wieder auf ihr Land zurückkehren konnten. Ihre angestammten Wohnhäuser wurden nach dem Prinzip der Vertreibung zerstört. In den Medien wurde viel darüber berichtet. Eine Gruppe aus München, die Lakota Indianer unterstützt, kam 10 Jahre später auf mich zu und fragte, ob ich in einem Reservat in Amerika auch so ein Holzhaus, wie ich es für die Bauern in Exjugoslawien entwickelte, bauen könnte.
Im April 2002 kam auf Einladung der Gruppe eine Delegation von Sioux Indianern, mit dem Häuptling Joe American Horse, zu mir auf meinen Hof nach Rimsting. Dort bauten wir zusammen ein Modellhaus im Zuge eines meiner 3tägigen Bauseminare, bei dem sich die Indianer auch beteiligten. Ein Jahr später flog ich mit 5 Leuten der Münchner Gruppe nach South Dakota und übernahm die Planung und Bauleitung für das Haus, das später ein Zentrum werden sollte. Der Ort an dem wir bauten, ist ein legendärer Platz, aber leider in einer sehr abgelegenen Gegend des Reservats, von dem 2022, 19 Jahre später die meisten Indianer weggestorben oder weggezogen sind. Aber es musste dort gebaut werden, weil es neben dem Grab des legendären Großvaters von Häuptling Joe American Horse, der den gleichen Namen wie sein Enkel trug (ähnlich wie bei uns in Bayern), was sich aus heutiger Sicht als Fehler erwies. Dieser Großvater war als Teil der Verhandlungsdelegation eine wichtige Persönlichkeit, die nach dem letzten Indianermassaker am 29. Dezember 1890 am Wounded Knee, 1891 den heut noch gültigen Frieden mit Washington aushandelte.
Willi Regensburger, ein Künstler aus unserer Gegend war damals auch dabei. Er freundete sich mit Red Bear, einem Medizinmann an, der aber mittlerweile verstorben ist. Über ihn bekam ich den Kontakt zu seinen Töchtern, die in der nahen 75 000 Einwohnerstadt Rapid City leben und wiederum durch sie konnte ich den Kontakt zu dem alten Häuptling wieder aufnehmen.
Die Mietwohnung in der Stadt, ich wohnte 3 Nächte bei ihnen, ist sauber. Zum Essen gibt es ausschließlich junk-food-Fertiggerichte und zum Durstlöschen, meist ein Pepsi oder Cola. Demensprechend dick sind sie auch, auch schon die 16jährige Tochter der 49jährigen Echo Red Bear. Mit weit fortgeschrittener Diabetes sitzt sie bereits im Rollstuhl. Wenn wir unterwegs waren und alle Hunger hatten und das hatten sie oft, lud ich sie immer ein. Sie wollten dann ausschließlich nur durch einen Drive-In fahren und bestellten sich jedes Mal wieder junk-food und einen Softdrink. Sie sind bestimmt nicht dumm und können sehr gut mit den Medien umgehen. Wenn wir zurückkamen ging es gleich ans Handy oder den Laptop – oder auf das Sofa vor den großen Fernseher, der Tag und Nacht angeschaltet bleibt. Im Bad stehen, wie in manchen Bädern auch bei uns, Unmengen von Flaschen und Tuben mit allem Möglichen, was die Werbung im Fernsehen ebenso empfiehlt.
Mein Englisch ist überraschenderweise kaum eingerostet und so kann ich mich relativ gut auch mal längere Zeit unterhalten. Wenn ich etwas nicht verstehe, dann frage ich nach und wenn ich gar nicht weiterkomme, dann denke ich mir, „wird schon nicht so wichtig sein“.
Mit der 50järigen Iona Red Bear unterhielt ich mich lange und sehr offen. Sie arbeitet derzeit 7 Tage in der Woche in einer Tankstelle, weil sie auf einen neuen Grill und auf ein paar andere Sachen spart. Sie sieht ein, dass das schlechte Essen und vor allem das Alkoholproblem die großen indianischen Gesundheitsprobleme sind, aber von den Gewohnheiten wegzukommen, wie ihr 42jähriger Bruder Salomon Red Bear, der seine Alkoholsucht (vorerst) überstanden hat, ist sehr schwer. Salomon Red Bear lebt alleine, hat 4 Kinder von 3 verschiedenen Müttern und war mir gegenüber auch sehr offen und redeselig. Für die Kinder bezahlt er nichts und er hat auch keinen Kontakt zu ihnen. Er arbeitet als Gelegenheitsarbeiter derzeit auf dem Bau, oder als Caddy, auf dem nahen Golfplatz, wo er für 3 Stunden 50.- $ bekommt. Er kam gleich am nächsten Tag wieder, obwohl er tags zuvor sagte, er müsse Arbeiten. Er sagte er hätte Hunger. Beim Drive-In bestellte er gleich einen großen Burger, Kaffee und ein Cola. Er nützte es offensichtlich aus so lange ich noch da war, weil ich ja immer alles bezahle.
Er lebt in einer WG mit 9 Leuten. Das Haus hat 2 Bäder und ist so klein, dass immer 2 zusammen schlafen müssen. Jeder zahlt monatlich 500.- $ inklusiv Heizung, Wasser und Strom. Vor der Sesshaftwerdung lebten die Menschen ja im sogenannten Paradies.
Bei uns „arbeiteten“ die Menschen Jahrtausende lang täglich nur rund 4 Stunden zum Nahrungssammeln und Jagen, waren besitzlos, bis sie vor ca. 10 000 Jahren sesshaft wurden und die ganzen Probleme mit Eigentum, viel länger arbeiten müssen usw. begannen. Wir hatten also vor 10 000 Jahren „das Paradis“ bereits verlassen und mussten ab da „im Schweiße unseres Angesichts“, wie es in der Bibel heißt, „unser Brot verdienen“!
Der Großteil der Indianer in Nordamerika lebte diese Lebensweise, die bei uns vor 10 000 Jahren zu Ende ging, noch bis die Weißen vor ein paar Hundert kamen. Die Genetik und Mentalität brauchte bei uns Jahrtausende um sich zu ändern, die die Indianer im Gegensatz zu uns, nicht hatten. Man geht nur zum Jagen oder Sammeln, wenn man Hunger hat – und deshalb wird, wenn man was braucht, wie im Fall von Iona Red Bear, eben auch mal 7 Tage in der Woche gearbeitet – und sonst eben nicht!
Ich machte mir viele Gedanken wie das wohl bei uns war, nachdem uns die Römer eroberten. Ob wir auch als Menschen zweiter Klasse angesehen wurden? Gesiedelt wurde scheinbar auch an getrennten Orten. Wir haben ja heute noch die „ting“-Namen aus vorrömischer Zeit und Ortsbezeichnungen mit „welsch“, aus römischer Zeit, für die „Welschen“, die Menschen aus dem Süden, wie sie damals benannt wurden. Ortsnamen wie z. B. Traunwalchen oder Walchensee zeugen heute noch davon. Aber in den 2000 Jahren sind wir mittlerweile so vermischt, dass es keine Unterschiede mehr gibt. Bei den Indianern sind es ja nicht mal 150, maximal 200 Jahre, als Millionen von Europäern einfielen, sie millionenfach umbrachten und vertrieben und den Überlebenden versuchten, unsere Lebensweise aufdrückten.
Am Ostersonntag fuhren wir 130 km in das Pine Ridge ins Reservat. Der zentrale Hauptort gleichen Namens hat ca. 800 Einwohnern, wie mir der alte Häuptling erzählte. Gesamteinwohner, inklusiv der Halbblutindianer leben heute ca. 18 000 Menschen in diesem Reservat.
Die 16jährige Tochter durfte fahren, weil die 49jährige Mutter aus körperlichen Gründen nicht mehr fahren kann. Es gibt eine Tankstelle und einen Supermarkt. Wir kauften dort auch ein. Es gibt kaum Obst, dafür aber fast nur abgepackte Sachen, viele Chips und sonstiges junk-food. Etwas Gesundes habe ich nicht gesehen. Viele Indianer kauften in dem von Indianern geführtem Markt ein. Bezahlt wird auch hier oft mit Kreditkarte.
Der alte Häuptling ließ es sich nicht nehmen, mich einen halben Tag lang herumzufahren. Die Hauptstraßen sind asphaltiert oder Betonstraßen, die dem Auto in regelmäßigen Abständen einen Schlag versetzen, die Nebenstraßen sind aber meist nur Staubstraßen. Leider hört er schon so schlecht, dass man sich kaum mehr mit ihm unterhalten kann. Auf dem Weg zum Land seines Großvaters sah ich, im Gegensatz zu anderen Flächen, immer wieder ordentliche Farmen. Jo American Horse erzählt mir, dass die Indianer diese Flächen innerhalb des Reservats an weiße Farmer verkauften, die sich dort auch ansiedelten. Das meiste sind abgeerntete Maisfelder. Bebaut ist jetzt, Ende April, noch nichts. Es ist viel zu trocken. Sie erzählten mir, dass es hier auf diesen Plains, rund 1000 Höhe, im vergangenen Winter kaum Schnee und im Frühjahr keinen Regen gab. Das Gras ist braun und die wenigen Weidetiere im Verhältnis zu den riesigen Flächen, beißen die letzten trockenen Halme ab. Wenn es nicht regnet, werden viele geschlachtet werden müssen, oder verhungern.
Deprimierend ist auch die Armut dieser Menschen. Ich hatte beim Einschulen von Sägewerken in anderen Teilen der Welt oft mit armen Menschen zu tun, die schienen mir aber glücklicher als die Indianer in diesem Reservat. Die meisten leben in sogenannten Trailer Homes. Fast immer stehen mehrere alte Autos ums Haus. Allerdings erzählt man mir später, dass diese arme Art zu leben, nicht nur auf die Indianer beschränkt ist – es gibt auch genügend so arme abgehauste Weiße.
Als erstes fuhren wir, zum mittlerweile verlassenem Land seines Großvaters, wo ich vor 19 Jahren dieses Haus baute, das ein Zentrum werden sollte. Es steht aber seitdem leer, weil in diesem abgelegenen und schwer zu erreichenden Gebiet, niemand mehr leben will und im Winter ist es mit dem Auto gar nicht zu erreichen. Die einzigen die durch ein gebrochenes Fenster in dieses Haus einzogen, sind Tauben, wie ich an einem Skelet feststellen konnte und demensprechend versch…. sieht es auch darin aus. Auch das Wohnhaus seines Bruders, hundert Meter daneben, steht seit seinem Tod leer.
Ehe wir fuhren, legte er am Grab seines Großvaters noch eine Opfergabe nieder. Auch einige spirituelle Utensilien zeigte er mir noch. Die nächste Station war der Friedhof mit dem Denkmal des Massakers an der nahen Flussbiegung, die seit dem 29. Dezember 1890, dem letzten großen Indianer-Massaker, „woundet Knee“ heißt.
Jo American Horse war „bussy“ an diesem Tag, weil er der Spezialist für die Schwitzhütten im Reservat ist. Sie nennen ihn liebevoll „sweat lodge Chief“. Als wir den Rückweg antraten war er gerade dabei das Feuer zum Aufheizen der Steine, die dann am Abend fast glühend in die Grube in der Mitte der Schwitzhütte gelegt werden. Eine Schwitzhütte ist ein ca. 3 Meter runder Iglu aus gebogenen Stöcken, in deren Mitte eine ca. 40 cm tiefe Grube für die „Stone poeple“, wie die glühenden Steine heißen, gelegt werden und die anschließend wie in der Sauna mit Wasser und Kräutern übergossen werden.
In der Zeremonie wird zu den Ahnen und Geistern gebetet. Jeder Teilnehmer übergibt mit dem Rauch einer heiligen Pfeife, die immer im Uhrzeigersinn weitergereicht wird, seine Nöte und Sorgen und betet darin mit dem Abschluss „he mataku jasin“ (für alle meine Verwandten) zu den Geistern. Anschließend verlässt der als Symbol für eine Neugeburt durch eine Schlitzöffnung den Raum. Bei uns würde man sagen, es ist eine Mischung von Kirche und Sauna.

Text und Fotos: Hans Fritz – www.hans-fritz.de

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Redaktion

Claus Linke

1939 in Bautzen/Sachsen geboren, Maschinenschlosser-Lehre in Bautzen, 1956 Flucht aus familiären Gründen aus der DDR über Berlin nach München, Maschinenbau-Studium in München, 1969 Erwerb eines Grundstückes in Atzing und beginn mit dem Bau eines Hauses für meine Eltern und den drei Kindern, 1981 Ernennung zum Siemens-Oberingenieur, nach 36 Jahren Beschäftigung bei Siemens in den Ruhestand, 1995 Verlegung des Hauptwohnsitzes nach Prien.

Ehrenamtlicher Mitarbeiter bei der Chiemseeagenda seit deren Gründung im Jahr 2002 - angesiedelt beim Abwasser- und Umweltverband Chiemsee. Das Aufgabenspektrum (mehr oder weniger involviert) umfasst die Webmeisteraktivitäten für die diversen Agendaseiten; Mitarbeit bei nahezu allen Agendathemen (wie z.B. Chiemseeringlinie, Bürgerbus Chiemsee, Vogelführungen, Chiemsee Rundweg und Chiemsee Radweg); Konzeption und Erstellung der Broschürenreihe "Natur.Erlebnis.Chiemsee"; Betreuung des online-Fotoalbums der Chiemseeagenda. Verleihung der bayerischen Ehrenamstmedaille "Für besondere Verdienste um die bayerische Gastlichkeit" im Jahr 2017.

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