Leitartikel

Als die Amerikaner nach Bernau a. Chiemsee kamen

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Als die Amerikaner nach Bernau a. Chiemsee kamen – aus Erzählungen von Maria Dummert, geb. Wörndl. Aufgeschrieben von Hans-Dieter Dummert

Der Verfasser hat am 24.8.44 durch die Hilfe der Hebamme Katharina Höhnsteiger (siehe Heimatbuch Bernau) in der Bahnhofstr. (jetzt Chiemseestr.) in Bernau a. Ch. das Licht der Welt erblickt. Sein Vater war zur gleichen Zeit auf der Insel Krim, im Hafen Kersch im Krieg. Durch ein Telegramm erfuhr er von der Geburt seines Sohnes. Am 4. Mai 1945, es schneite, hörte meine Mutter schon am Morgen von weitem Kanonendonner. Wir wohnten am Bach im Haus der Schreinerei Martin Dietl. Die amerikanischen Truppen häherten sich auf der Autobahn vom Bremsberg her. Zunächst ging das Gerücht um, Bernau würde verteidigt werden. Am Mitterweg wehte auf einem Fahnenmast noch die SS-Fahne.

Bernau wurde kampflos übergeben

Mutige Männer, darunter auch Franz Mikats, der spätere Bürgermeister, gingen auf der Priener Straße mit einer weißen Fahne den Amerikanern entgegen. Durch umsichtige Verhandlungen blieb Bernau von Kampfhandlungen verschont. Am Abend des 4. Mai 45 klopfte es an der Haustüre des Anwesens Dietl. Die Amis standen mit einigen Mann vor der Türe und begehrten Einlass, um das  Haus zu durchsuchen. Sie nahmen die ganze Bekleidung meines Vaters mit und schlugen auch unsere Küchenuhr kaputt.

Am nächsten Abend gegen 22 Uhr standen sie wieder vor der Tür. Meine Mutter zeigte ihnen eine Bescheinigung in der stand, dass die Wohnung nicht mehr besetzt werden darf. Darauf packten die Soldaten ihr Gepäck und zogen ab. Mit der Bescheinigung hatte es folgende Bewandtnis: Meine Mutter hatte eine Bekannte, mit Namen Abraham oder so ähnlich. Diese Frau war Halbjüdin, aber mit einem deutschen Soldaten verheiratet. Meine Mutter ließ diese Frau immer heimlich den englischen Radiosender hören. Frau A. sprach fließend Englisch. Dadurch setzten sie die Amerikaner in ihrem Büro ein, das sie in der Strafanstalt eingerichtet hatten. Meine Mutter fuhr mit dem Rad in das Büro zu Frau A. Sie klagte über den Umstand, dass die Amis bei ihr so gehaust hätten. Frau A. erzählte nun einem amerikanischen Major von dem Vorfall und erzählte ihm, dass Frau Dummert zu hundert Prozent kein Nazi war und dass sie bei ihr immer „Schwarzhören“ durfte. Der Major stellte nun eine Bescheinigung aus, dass ab sofort die Wohnung nicht mehr betreten werden dürfe.

Martin Dietl fertige eigens für dieses Dokument einen kleinen Holzrahmen an. Zwei Tage später klopfte es nachts wieder an der Haustüre und es standen abermals amerikanische Soldaten draußen und wollten Einlass. Meine Mutter kam an die Tür und zeigte ihnen die Bescheinigung. Einer der Soldaten entriss meiner Mutter diese Bescheinigung, mit der sie wieder abzogen.

Am nächsten Tag fuhr meine Mutter sofort in das Büro der amerikanischen Verwaltung zu Frau A. und erzählte von dem Vorfall. Ihre entrissene Bescheinigung lag auf dem Schreibtisch des Majors. Der Soldat hatte sie auf seine Echtheit überprüfen lassen. Von dem Tag an wurde das Haus Dietl nicht mehr belästigt, bzw. besetzt. Die Bewohner von den übrigen Häusern am Bach und Westerham mussten ihre Wohnungen vorübergehend räumen.

Das Ehepaar Riehl

Im Haus Dietl war ein Münchner Ehepaar evakuiert, ihr Name war Riehl. Das Ehepaar hatte zwei Söhne, August und Beppo. Sie besuchten sehr oft die Eltern in Bernau. Der Sohn August, (Jahrgang 1914) war Schauspieler, mehr bekannt aber als Synchron- und Hörspielsprecher beim Bayrischen Rundfunk. Seit 1962, mit Beginn der Pumucklhörspielreihe, war August Riehl bei allen Folgen als Erzähler dabei. Das Sonntagsläuten um 12 Uhr im Radio wurde auch entweder von August oder Beppo Riehl besprochen und das jeweilige Gotteshaus erklärt.

Herr Weißmann

Herr Weißmann war ein Bediensteter in der Strafanstalt Bernau. Er war mit meinem Großvater Kaspar Wörndl (siehe Heimatbuch Abb. 48/49) befreundet. Mein Großvater, ein totaler Anti-Nazi, hörte immer den englischen Radiosender  BBC, auch im Beisein von Herrn Weißmann. Der Englische Sender berichtete ständig über den neuesten Frontverlauf des Krieges. Mein Großvater sagte dann immer: „Diese Bande lügt uns nur an“. Seine Frau sagte zu ihrem Mann: „Sei leise, sei leise, sonst kommen wir alle nach Dachau“. Als die Amerikaner nach Bernau kamen, hieß es zunächst, alle Gefangenen würden freigelassen. Die amerikanischen Besatzer waren der Meinung, dass in der Strafanstalt lauter politische Häftlinge seien. Durch Verhandlungen ließen sich die Amis aber dann umstimmen. Alle Bediensten der Verwaltung der Strafanstalt wurden entlassen, da sie alle Parteimitglieder waren, so auch Herr Weißmann.

Es kam dann zur Entnazifizierung. Herr Weißmann kam zu meinem Großvater und sagte: „Sie wissen, Herr Wörndl, wie oft ich sie hätte melden können und habe es nicht getan“. Mein Großvater stellte ihm dann einen „Persilschein“ aus, d.h. dass Herr Weißmann nur als ein einfacher Mitläufer eingestuft wurde. Herr Weißmann wurde dann aus diesem Grund als einer der ersten wieder bei der Strafanstaltsverwaltung eingestellt. Erwähnen möchte ich noch, dass mein Großvater bei der Deutschen Reichspost beschäftigt war. Eines Tages wurde er von seinem Chef, Herrn K. nach Prien vorgeladen. Dieser eröffnete ihm, dass er zur Beförderung anstehe. Da aber mein Großvater kein Parteimitglied war, sagte ihm sein Chef „aus diesem Grund können wir sie nicht berücksichtigen“.

Die Münchner Schäffler

Im Sommer 1942 traf meine Mutter eine Klassenkameradin auf der Strasse, die ein kleines Mädchen bei sich hatte. Meine Mutter erkundigte sich über das Kind und erfuhr, dass die Mutter des Kindes einen Platz auf dem Land suche, da das Mädchen – sie hieß Marlis – von den Bombenangriffen in München sehr beeinträchtigt war. Da ich ja noch nicht auf der Welt war, beschloß meine Mutter spontan, das Mädchen bei sich aufzunehmen. Daraus entstand eine tiefe Freundschaft, die bis zum Lebensende meiner Mutter und meines Vaters andauerte. Später sagte Marlis immer, die schönsten Kinderjahre hätte sie in Bernau verbracht. Sie wurde dann auch in Bernau eingeschult. 1945 bei Kriegsende musste sie zurück nach München, obwohl die familiären Umstände katastrophal waren. Sie heiratete 1955 und aus der glücklichen Ehe gingen 3 Söhne hervor. Zwei dieser Söhne waren dann bei den Münchner Schäfflern, einer der Kasperl und einer als Tänzer.

Rückkehr meines Vaters nach dem Krieg

Mein Vater geriet in Saalfelden / Österreich in amerikanische Gefangenschaft. Dort hieß es, alle Gefangenen würden in das Internierungslager nach Bad Aibling verlegt. Die Fahrt ging über die Salzburger Autobahn. Der Konvoi bestand immer aus einem Jeep und dahinter ein Lastwagen mit den Gefangenen. Der Lastwagenfahrer war ein deutscher Soldat. Zusammen mit einem Mitgefangenen schmiedete mein Vater den Plan in der nähe des Chiemsees vom Lastwagen zu springen. Er steckte dem Fahrer Zigaretten zu und sagt zu ihm, er solle abrupt bremsen, damit der Jeep gezwungen sei, vorzufahren. Beim ersten Mal klappte es nicht. Auf der Höhe von Grabenstätt erfolgte ein zweiter Versuch bei dem mein Vater vom Lastwagen in einen Graben springen konnte. Sein Kamerad sprang aber nicht. Gottlob hatte er sich bei dem Sprung nicht verletzt. Bei dem heutigen Kreisverkehr stand und steht ein einzelnes Haus. Dort klopfte er in der Dämmerung an und fragte die Hausleute, ob sie eventuell Zivilkleidung hätten. Sie sagten, dass sie keine hätten. Ob es gestimmt hat, sei dahingestellt. So marschierte er die ganze Nacht Richtung Bernau und erreichte im Morgengrauen sein Elternhaus in der Baumannstraße.Es war ein gefährliches Unterfangen, denn ab 20 Uhr war überall Ausgangssperre, d. h. niemand durfte sich auf den Straßen aufhalten. Meine Tante ging zu meiner Mutter und bat sie dringend um Zivilkleidung, verriet aber nicht für wen. Meine Mutter sagte, dass sie das letzte Gewand, das ihr von ihrem Mann geblieben ist, nicht hergebe. Daraufhin eröffnete ihr meine Tante, dass ihr Mann sich im Elternhaus versteckt hielt. Die Freude war riesengroß und so konnte meine Mutter nach fast 2 Jahren meinen Vater wieder in die Arme schließen.

Bis zum Krieg war mein Vater bei der Deutschen Reichspost beschäftigt. Zu Kriegsende war keinerlei Postbetrieb mehr möglich. Kurz vor Kriegsende wurde ein Bauernhof in Stötten bombadiert, wobei die Mutter von 3 Kindern ums Leben kam. Die notdürftig aufgebaute Gemeindeleitung hat andere Kriegsheimkehrer und meinen Vater beauftragt, den Schutt von dem zerbombten Bauernhaus wegzuräumen. Ca. 1946/47 wurde der Postbetrieb wieder aufgenommen.

Fotos: Archiv der Gemeinde Bernau a. Chiemsee

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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