Brauchtum

Chiemgauer Fahnen Teil 3 – Fahnenzermoniell und -weihe

Im letzten des Dreiteilers über die Chiemgauer Fahnen geht es um das Fahnenzeremoniell und um die Fahnenweihe. Die ersten beiden Teile findet man hier und hier.

Fahnenbegleiter – Fahnenzeremoniell

Das Fahnenzeremoniell schauten sich die Trachtenvereine bei den anderen Ortsvereinen – vor allem bei den Veteranenvereinen – ab, von Dorf zu Dorf gab und gibt es dabei leichte Varianten. In der Grundordnung geht aber alles auf die Behandlung der Fahnen bei der königlich bayerischen Armee – vor allem der Infanterie – zurück, die jeder Bursch durch seine Wehrdienstzeit üblicherweise kannte.

Die wenigen Regeln waren schnell zu erlernen und wurden von Fähnrich zu Fähnrich mündlich weitergegeben. Die in den letzte Jahren bei einigen Vereinen eingeführten Amerikanismen mit ruckartigem Senken der Fahne und mit deutlich abweichenden Formalien haben mit bayerischem Brauchtum nichts zu tun.

Die Trachtenfahne wird grundsätzlich von zwei (ledigen) Burschen begleitet. (Militärische Fahnen werden in aller Welt von zwei jungen, bewaffneten Offizieren in Paradeuniform begleitet) Für die Fahnenbegleiter gelten die gleichen Regeln, wie für den Fähnrich selbst: auch sie tragen als Kennzeichen ihres Amtes und ihrer Würde Schärpe und Hutschnur. Wenn sie die Fahne tragen und begleiten, sind sie als gekennzeichnete Fahnenabordnung aus der Gesamtheit des Vereins herausgelöst; sie haben nur eine einzige Aufgabe, ihre Fahne zu schützen und auf sie acht zu geben. Es ist ihnen während ihres Dienstes verboten, zu essen oder zu trinken, zu rauchen oder sonst etwas zu tun, wodurch ihre Aufmerksamkeit von der Fahne abgelenkt werden könnte. (Eine Fahnenbegleitung durch „Ehrendamen“, wie in letzter Zeit mehrfach zu sehen, ist nicht vorzusehen; die Fahnenbegleitung hat die überkommene Hauptaufgabe, ihre Fahne unter allen Umständen zu schützen und zu verteidigen, das ist mit Ehrendamen nicht durchführbar; auch der ganz praktische Grund eines Trägerwechsels bei langen Trachtenzügen wäre mit Damenbegleitung nicht machbar.)

Die Fahne wird, (wie ihr Vorbild, die Infanteriefahnen der königlich bayerischen Armee), aufrecht stehend im Tragegurt getragen. Hat der Fähnrich sein Ziel erreicht, so nimmt er die Fahne ab, stellt sie an der rechten Schuhspitze ab und hält sie mit der rechten Hand fest. Ein Umklammern mit beiden Händen, ein Abstützen auf die Fahne oder der Wechsel in die linke Hand sind nicht zulässig. Das Tragen der Fahne über der Schulter, wie bei den Fahnen der Gebirgsschützen, ist nicht vorgesehen.

In der Kirche

Beim Betreten einer Kirche senkt der Fähnrich die Fahne vor dem Altar (einmal oder dreimal) und grüßt damit das Allerheiligste Altarsakrament. Danach geht die gesamte Fahnenabordnung zu ihrem vorgesehenen Platz, die Fahne wird abgenommen und steht auf dem Boden auf. Der Fähnrich nimmt die Fahne ab, stellt sie an der rechten Schuhspitze ab und hält sie mit der rechten Hand fest.

Betritt der Priester zum Beginn des Gottesdienstes die Kirche, werden die Fahnen zum Gruß und aus Ehrerbietung an den Vertreter des Allerhöchsten aufgenommen und solange präsentiert bis der Priester den Altar erreicht hat und die heilige Messe beginnt. Während der heiligen Handlung steht die Fahne abgenommen.

Zum Evangelium, bei der Verkündung des Wortes Gottes an die Gemeinde, präsentiert der Fähnrich die Fahne.

Bei der Wandlung werden die Fahnen – vom Beginn bis zum Ende der Wandlung ohne Unterbrechung – voller Ehrerbietung gesenkt.

Stimmen Orgel und Chor das Te deum an, werden alle Fahnen aufgenommen und präsentiert.

Totenehrung

Gilt es einen Toten zu ehren, wird die Fahne dreimal über dem offenen Grab geschwenkt. Die Fahnen-Reverenz bei Begräbnissen und Trauerfeiern hat eine bis ins Mittelalter zurückreichende Tradition. Bayerische Fahnen werden ausschließlich vor dem Herrgott oder vor einem Toten gesenkt, sonst nicht.

Nationalhymne

Beim Intonieren und Spielen einer Nationalhymne werden alle Fahnen präsentiert, die Fahnen werden entweder auf Kommando oder beim ersten Ton des Musikstückes  aufgenommen und in den Tragegurt gestellt; die gesamte Fahnenabordnung bewegt sich nicht mehr bis zum Ende des Abspielens der Hymne. Das Verhalten aller Fahnenabordnungen, gleich welcher Vereine, Verbände oder Organisationen (in allen Staaten) ist dabei immer das Gleiche. Die Bayernhymne ist die Hymne unseres Freistaates Bayern, nicht ein beliebiges geistliches Lied; sie steht damit in einer Linie mit der deutschen Nationalhymne „Einigkeit und Recht und Freiheit“, der französischen „Marseillaise“, mit der britischen „God save the queen“ oder allen anderen Nationalhymnen dieser Welt. Der Text spielt bei einer Hymne keine Rolle, wer könnte schon beim Abspielen einer fremden Nationalhymne erkennen, ob das nun ein Revolutionslied (Frankreich), ein Hymnus an die Schönheit des Landes (Finnland) oder eine Anrufung Gottes (Bayern) ist.

Die Ehrerbietung der Fahnen und ihrer Träger gegenüber den Hymnen aller Staaten ist immer die gleiche: die Fahne wird präsentiert. Ebenso ist auch das Verhalten aller anwesenden Personen bei allen Hymnen dieser Welt immer gleich: Männer und Frauen erheben sich vor dem Beginn des Musikstückes von den Sitzen, die Männer nehmen den Hut ab, die Texte der Bayernhymne und Deutschlandlied werden seit einigen Jahren mitgesungen. Nach dem Ende der Hymne wird der Hut wieder aufgesetzt, die Anwesenden setzen sich wieder, die Fahnen werden abgenommen und vom Fähnrich am rechten Fuß abgestellt.

Fahnengruß

Beim Aufeinandertreffen zweier Fahnen, so beim morgendlichen Eintreffen zum Beginn eines Trachtenfestes oder bei einer Veranstaltung von mehreren Vereinen, bei denen Fahnen mitgeführt werden, werden die Fahnen von beiden Fähnrichen zum Fahnengruß, manchmal auch Fahnenkuss genannt, miteinander gekreuzt, so dass sich die Fahnentücher gegenseitig berühren.

Fahnenschwingen

Fast vergessen ist die Kunst des Fahnenschwingens. Die heutigen schweren gestickten Fahnen und die zahlreichen Bänder, machen es dem Fähnrich fast unmöglich, die Fahne im Fahnenschuh zu drehen und damit den Vereinsmitgliedern und den Zuschauern bei den Trachtenfesten die Fahne in ihrer vollen Schönheit zu zeigen.

Auch im Chiemgau war das Fahnenschwingen immer ein gern geübter Brauch. In der Sachranger Chronik zur Fahnenweihe 1950 heißt es: „Beim heftigen Schwenken der Fahne brach dem Fähnrich während des Festzuges die Fahnenstange ab“. Das Fahnenschwingen wurde als Kunst und Ehrerweisung bei allen Fahnen besitzenden Korporationen, gepflegt und im Wettbewerb geübt und wird auch heute noch in vielen Traditionsvereinen (Schweiz, Oberitalien) weiter gepflegt.

Grüßen der Fahne

Schließlich noch das Verhalten beim Passieren der Ehrentribüne bei den großen Trachtenfesten: Die Fahne wird auf keinen Fall zum Gruße waagrecht abgesenkt – ein Brauch der vielfach aus amerikanischen Filmen übernommen wurde – sie wird beim Defilee aufrecht im Tragegurt gehalten; dazu kommt dann ein (erkennbarer) Blickwechsel der gesamten Fahnenabordnung zur Ehrentribüne hin, die Fahnenabordnung schaut während des Vorbeiziehens zur Tribüne hin. Die Tribüne hat daraufhin die Fahnen zu grüßen, nicht umgekehrt, die defilierenden Fahnen sind das Symbol für die Gemeinschaft, für die Vereine und mit diesem Gruß der auf der Tribüne Versammelten an die Fahne wird der vorbeiziehende Verein geehrt. Die Fahne mit der Fahnenabordnung symbolisiert den Verein, ist die Fahne eines Vereins anwesend, so ist es der ganze Verein.

Fahnenweihe

Seit dem 10. Jahrhundert ist die Fahnenweihe bezeugt, die in Anlehnung an Kriegssegnungs-Ordines, an Ritter- und Schwertsagen verfasst worden waren. Die Grundlage für die Ehrerbietung vor der Fahne ist die Fahnenweihe. Erst die Weihe durch die Hand des Priesters verleiht der Fahne ihre Kraft und ihre Symbolwirkung, eine ungeweihte Fahne ist nur ein Stück buntes Tuch, ohne Kraft und Nimbus. Daher muss jede Fahne in irgendwelcher Form eine Weihe, einen Segen erhalten, die für die Gemeinschaft von Bedeutung ist und sie veranlasst diesem äußeren Zeichen zu folgen. (siehe auch die anderen Arten der „Fahnenweihen“ Berührung mit „Symbolen“, „geweihten Fahnen“, „Blutfahne“ etc.) Der Segen und der Nimbus der geweihten Fahne ist dabei so stark, dass er sich nicht nur auf das „bunte Tuch“ sondern auch auf alle auswirkt, „die diesem Zeichen folgen“.

Heute hat sich – besonders in Bayern und dem westlichen Österreich – ein spezielles Zeremoniell für die Fahnenweihe mit festgelegten Texten, Gebeten und Gesängen entwickelt, das sich eng an das Taufzeremoniell der christlichen Kirche anlehnt.

Bildhaft wird das ungeweihte Tuch von den Festjungfrauen als Täufling zum Altar getragen, das erste Besprengen mit Weihwasser durch den Priester stellt gleichsam die heilige Taufe dar. Die Fahnenmutter spricht ihren Prolog zu „ihrem Kind“ und heftet als erste ihr Fahnenband an die Fahne. Die nun getaufte Fahne wird von der Fahnenmutter – der ersten Person im Leben der Fahne – an die geschmückte Fahnenbraut weitergereicht. Nun spricht die Fahnenbraut, verspricht der Fahne die Treue zu halten und baut das künftige enge Verhältnis zwischen Fahne und Fahnenbraut auf. Ihr (jungfräulich weißes) Fahnenband ist das äußere Symbol des Verhältnisses der Braut zum Bräutigam, der Fahnenbraut zu ihrer Fahne. Fahnenmutter und Fahnenbraut sind Ehrenämter im Verein, die nur einmal vergeben werden können. Zeitlebens bleiben die beiden Frauen besonders eng mit ihrer Fahne (und ebenso mit ihrem Verein) verbunden, stellt diese doch für die beiden ein Leben lang gleichsam Kind und Bräutigam dar. In der Ehren-Rangfolge im Verein sind Fahnenmutter und Fahnenbraut noch vor dem Ehrenvorstand und den Ehrenmitgliedern anzusehen. Es ist selbstverständlich, dass die Fahne an allen Festen im Leben der Fahnenmutter und der Fahnenbraut „als Familienmitglied“ teilnimmt und sie auch auf ihrem letzten Weg begleitet

„Der Fahn“, (also männlich, nicht weiblich wie im Hochdeutschen) wie er im altbaierischen bildhaft genannt, wird mit „begleitenden, sorgenden Worten für das Wohlergehen“ schließlich von der Fahnenmutter und der Fahnenbraut gemeinsam dem Fähnrich / Fahnenjunker zur Führung und zum Gebrauch anvertraut und übergeben. Auch der Fähnrich hat zu seiner Fahne ein besonders enges Verhältnis. In der Chronik des Niederaschauer Vereins heißt es: „Der Fahnenjunker musste zur damaligen Zeit immer ein Jungherr sein. Wenn er heiratete, wurde ein neuer Fähnrich gewählt“.

Doch nicht nur eine Mutter und eine Braut braucht der Fahn, auch einen guten Taufpaten, einen Göd mit einer geweihten Fahne, muss er haben. Aus den Gründerjahren der Chiemgauer Trachtenvereine ist bekannt, dass die Vereinsvorstände große Anstrengungen machen mussten, um einen Verein mit geweihter Fahne zu finden, der den Göd machen konnte. So waren einige Staudacher Trachtler 1897 mehrere Tage mit dem Radl unterwegs, bis sie im Oberland den Trachtenverein Penzberg-Stamm als Göd gewinnen konnten.

Der Patenverein übernimmt (als großer Göd) mit der Patenschaft alle Pflichten und Rechten, die ein Taufpate gegenüber einem kleinen Taufkind (dem kleinen Göd) übernimmt. Das Verhältnis des kleinen Göds sollte umgekehrt dem eines Täuflings zum Taufpaten entsprechen. Für den Patenverein überreicht das Patendirndl ein Patenband an die neue Fahne, umgekehrt erhält auch der große Göd ein Band zur Erinnerung an den Festakt. Weitere Bänder können von den Festdirndln / Festjungfrauen, den Aktiven des Vereins, dem Herbergswirt oder sonstigen Gönnern gestiftet werden.

Das letzte Band, das bei der Fahnenweihe verliehen und angebracht wird, ist das Trauerband zum Gedenken an die verstorbenen, gefallenen und vermissten Mitglieder der Vereine. Es wird von der Trauermutter übergeben; die Kosten für das Trauerband übernehmen – mit Ausnahme der Landeshauptstadt München – in Bayern die Gemeinden.

Die vier Bänder der Fahnenmutter, der Fahnenbraut, des Patenvereins und das schwarze Band der Trauermutter führt die Fahne bei jedem Ausrücken als Grundausstattung mit sich. Bei allen anderen Festbesuchen, Fahnenweihen, Jahrtagen oder sonstigen Vorhaben hat der verantwortliche Fähnrich stets zu prüfen, ob der Verein nicht in früherer Zeit ein Band des Gastgebers erhalten hat, das zur Ehre des Stifters bei diesem Anlass gezeigt werden sollte.

Bericht und Fotos: Heinrich Rehberg

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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