Kirche

Kardinal Marx würdigt Passionsspielleiter Christian Stückl – Wortlaut

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Kardinal Reinhard Marx hat die Bedeutung der Oberammergauer Passionsspiele für den Zusammenhalt von Juden und Christen betont. „Oberammergau ist in den letzten Jahrzehnten gleichsam zu einem ‚Labor‘ des christlich-jüdischen Dialogs geworden und damit ein kraftvolles Zeichen gegen Antisemitismus“, sagte der Erzbischof von München und Freising laut Manuskript in einer Laudatio zur Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille am Sonntag, 7. März, in Stuttgart. Ausgezeichnet wird Spielleiter Christian Stückl, der laut Marx dazu beitrage, den christlichen Glauben „ohne Antijudaismus zu verkünden und zu leben! Und: Nur wenn wir Jesus als Juden sehen und kennenlernen, können wir ihn verstehen.“

Worte und Bilder können laut Marx „zum echten Dialog, zu Frieden, zu Versöhnung führen, wie es im jüdisch-christlichen Dialog geschieht“. Jedoch könnten sie ebenso „zu Abgrenzung, Spaltung, Hass, Gewalt, Rassismus und Antisemitismus beitragen“. Weil diese Gefahr nicht gebannt sei, müsse immer wieder betont werden, „dass Christen und Juden Schulter an Schulter stehen. Ich wiederhole, was ich in den letzten Jahren immer wieder gesagt habe: Juden und Christen werden nie wieder gegeneinander stehen, wir gehen gemeinsam!“, sagte Marx. Der Kardinal wies darauf hin, dass über lange Zeit auch bei Passionsspielen judenfeindliche Stereotype „nicht nur ganz plastisch und plakativ offen wie subtil in Szene gesetzt, sondern auch von Generation zu Generation Millionen von Menschen weitervermittelt“ wurden. Die Passionsspiele in Oberammergau hätten eine gute Entwicklung genommen und seien auch dank Stückl „für das kirchliche Verhältnis zum Judentum ein gutes Spiegelbild eines Prozesses und Ringens, das einer langen, aber letztlich steilen Lernkurve gleicht“.

Die Passionsspiele wurden laut Marx „zu einem Testfall, wie ernst wir Christen es meinen mit der Aufarbeitung und Bekämpfung der kirchlichen Judenfeindschaft und auch letztlich, wie ernst die Christen es nehmen mit diesem Juden Jesus aus Nazareth“. Heutzutage würden die Pharisäer bei dem Spiel in Oberammergau nicht mehr als die Feinde Jesu dargestellt und Jesus werde als frommer und praktizierender Jude von Anfang bis zum Schluss gezeigt. Das Judentum werde dabei in seiner Vielfalt vermittelt und „nicht mehr als überholte Vorstufe, sondern als Wurzel des Christlichen“ gezeigt, so Marx.  Ein Schauspiel wie das in Oberammergau sei ein wirkungsvolles Mittel, um Haltungen und Denkweisen von Menschen zu verändern. So sei es „eine sehr treffende Entscheidung“, Stückl mit der Buber-Rosenzweig-Medaille auszuzeichnen. Der 59-jährige Oberammergauer wurde 1987 zum Spielleiter der dort alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspiele gewählt. Er hat sich seitdem mit dem Vorwurf des christlichen Antijudaismus auseinandergesetzt und die Passionsspiele auf der Grundlage ständigen Austauschs mit vielen jüdischen Repräsentanten und Institutionen reformiert.

Seit 1968 verleiht der Deutsche Koordinierungsrat der 83 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit während der Eröffnungsfeier zur Woche der Brüderlichkeit die Buber-Rosenzweig-Medaille. Ausgezeichnet werden Personen, Institutionen oder Initiativen, die sich insbesondere um die Verständigung zwischen Christen und Juden verdient gemacht haben. Die Medaille wird in Erinnerung an die jüdischen Philosophen Martin Buber und Franz Rosenzweig verliehen. (hs) – Bericht: Erzbischöfliches Ordinariat

Foto: Hötzelsperger – Kardinal Marx und Christian Stückl 2019 bei einem Gespräch in München

Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising: Laudatio zur Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille 2021 der Deutschen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit an Herrn Christian Stückl

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Herr Stückl!

Worte sind nicht unschuldig. Das gilt auch für die theologische Rede: Sie setzt sich im kulturellen Bewusstsein fest, sie prägt Haltungen, soziale Verhältnisse und das Handeln. Das wird gerade auch in der Verkündigung und Darstellung der Passion Jesu Christi deutlich. Aus heutiger Sicht erkennen wir schon in den Evangelien eine Verschiebung der Schuld am Tode Jesu auf die Juden. Ihren fatalen Höhepunkt findet diese theologische Beschuldigung dann ab dem 2. Jahrhundert im Vorwurf des „Gottesmordes“, der bis weit ins 20. Jahrhundert hinein den theologischen Kern des christlichen Antijudaismus bildete. Der jüdische Historiker Jules Isaac nannte dies die christliche „Lehre der Verachtung“. Sie hat sich gezeigt in Pogromen in Mittelalter und Neuzeit. Der Karfreitag, an dem in den Kirchen die Passionsgeschichte gelesen und gehört wurde, war lebensgefährlich für die Jüdinnen und Juden in der christlichen Mehrheitsgesellschaft.

In den Passionsspielen an vielen Orten wurden judenfeindliche Stereotype nicht nur ganz plastisch und plakativ offen wie subtil in Szene gesetzt, sondern auch von Generation zu Generation Millionen von Menschen weitervermittelt, sodass sie sich dem kollektiven Gedächtnis einbrannten. Der rassistische Antisemitismus und die nationalsozialistische Vernichtungsideologie konnten daran anknüpfen. Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, zwanzig Jahre nach der Schoa, trennte sich die katholische Kirche allmählich von dieser judenfeindlichen Haltung: In der Konzilserklärung „Nostra aetate“ hat sie eine Lehre und Haltung der Anerkennung, der Wertschätzung, der Nächstenliebe auch und besonders gegenüber unseren jüdischen Geschwistern entwickelt. Es war ein Paradigmenwechsel im kirchlichen Verhältnis zum Judentum, eine echte Umkehr, aber auch nur ein erster Schritt. In vielen Bereichen des kirchlichen Lebens, in der Katechese, in der Liturgie und nicht zuletzt in den Passionsspielen, die ihre Wurzel ja in der Liturgie haben, musste dies rezipiert, umgesetzt werden: Dieser Prozess war sehr langwierig und mühevoll – bis heute!

Gerade die Passionsspiele in Oberammergau sind für das kirchliche Verhältnis zum Judentum ein gutes Spiegelbild eines Prozesses und Ringens, das einer langen, aber letztlich steilen Lernkurve gleicht. Es galt (und gilt), Menschen zu überzeugen, mitzunehmen, Stück für Stück den Text und die Darstellung so zu reformieren, dass es der modernen Bibelwissenschaft ebenso wie den neuen historischen Erkenntnissen gerecht wird und dass es trotzdem ein geistliches Spiel bleibt; es galt, die Dramatik der Handlung beizubehalten und zugleich die antijüdischen Stereotype und Vorwürfe gänzlich zu tilgen, und damit den eigentlichen Kern der Passionsgeschichte und der Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern, damals wie heute, freizulegen. Die Passionsspiele wurden so zu einem Testfall, wie ernst wir Christen es meinen mit der Aufarbeitung und Bekämpfung der kirchlichen Judenfeindschaft und auch letztlich, wie ernst die Christen es nehmen mit diesem Juden Jesus aus Nazareth:  Die Pharisäer werden heute in Oberammergau nicht mehr als die Feinde Jesu dargestellt, Jesus wird als frommer und praktizierender Jude von Anfang bis zum Schluss gezeigt, mit Gebetsschal und Kippa, auf Hebräisch betend;  der sog. Blutruf der jüdischen Menge aus dem Matthäusevangelium wird weggelassen; das Judentum wird in seiner Vielfalt vermittelt; die jüdischen Gegner Jesu werden entdämonisiert; das Volk Israel wird nicht mehr als verstoßen betrachtet, nicht mehr als überholte Vorstufe, sondern als Wurzel des Christlichen; die juristische Schuld am Tod Jesu wird, historisch angemessen, primär der römischen Besatzungsmacht zugeschrieben – erst durch sie bekam die Geschichte Jesu eine tödliche Wendung, nicht durch den innerjüdischen Konflikt, der Teil einer breiten Diskussion innerhalb des Judentums war!

Worte und Bilder beeinflussen und zeigen unsere Haltungen und unser Handeln. Sie können zum echten Dialog, zu Frieden, zu Versöhnung führen, wie es im jüdisch-christlichen Dialog geschieht. Und wir wissen – auch aus unseren Tagen -, dass Worte und Bilder zu Abgrenzung, Spaltung, Hass, Gewalt, Rassismus und Antisemitismus beitragen. Diese Gefahr ist leider nicht gebannt! Deshalb kann es nicht oft genug gesagt werden, dass Christen und Juden Schulter an Schulter stehen. Ich wiederhole, was ich in den letzten Jahren immer wieder gesagt habe: Juden und Christen werden nie wieder gegeneinander stehen, wir gehen gemeinsam! Ein Schauspiel wie das in Oberammergau ist ein sehr wirkungsvolles Mittel, um Haltungen und Denkweisen von Menschen zu verändern. So ist es eine sehr treffende Entscheidung, Sie, lieber Herr Stückl, mit der Buber-Rosenzweig-Medaille auszuzeichnen, der Sie nun seit über drei Jahrzehnten die Oberammergauer Passionsspiele leiten und jene grundlegende Reform mit Beharrlichkeit Schritt für Schritt umsetzen.

Oberammergau ist in den letzten Jahrzehnten gleichsam zu einem „Labor“ des christlich-jüdischen Dialogs geworden und damit ein kraftvolles Zeichen gegen Antisemitismus! Sie, lieber Herr Stückl, und Ihre Mitstreiter wie Otto Huber sind seit vielen Jahren immer wieder im Dialog mit jüdischen Repräsentanten und Institutionen wie dem American Jewish Comittee oder der Jewish Anti-Defamation League, mit Rabbinern und jüdischen Gelehrten; sie pilgern mit den Hauptdarstellern vor den Spielen ins Heilige Land, um dort auf den Spuren Jesu zu wandeln und mit Jüdinnen und Juden vor Ort ins Gespräch zu kommen oder sich in Yad Vashem der historischen Verantwortung zu stellen. Die heutige Version des Oberammergauer Passionsspiels ist auch ein Ergebnis dieser persönlichen Gespräche, der Begegnungen, des gemeinsamen Ringens, auch im Ort Oberammergau selbst, denn die Widerstände waren ja zunächst nicht gering. Da braucht man Geduld und zugleich Leidenschaft, ein Charisma, das andere begeistern kann, aber auch Durchsetzungsvermögen, einen „oberbayerischen Dickschädel“! Diese Begeisterung für das Spiel bewundere ich sehr.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, thematisch bewegen wir uns hier im Kern des christlichen Glaubens und des christlich-jüdischen Verhältnisses. Natürlich werden wir die unterschiedlichen Sichtweisen auf Jesus in Judentum und Christentum nicht überwinden können – es gibt diese Unterschiede und sie machen uns jeweils als Juden und Christen aus, aber: Es muss möglich sein, den christlichen Glauben, das Bekenntnis zu Jesu Christus ohne Antijudaismus zu verkünden und zu leben! Und: Nur wenn wir Jesus als Juden sehen und kennenlernen, können wir ihn verstehen. Die Darstellung und Verkündigung des Lebens und Leidens Jesu muss zu einer größeren Liebe zu Gott und zu allen Menschen führen! Das ist das Kriterium und die bleibende Herausforderung und Verantwortung für uns Kirchen, ob in der Predigt, in der Katechese oder im Passionsspiel.

Sie, lieber Herr Stückl und Ihr Team, leisten dazu einen großen und wichtigen Beitrag. Beschreiten Sie diesen Weg bitte weiter. Wir kommen damit vielleicht nie an ein Ende, aber wie heißt es in einer rabbinischen Überlieferung, in den „Sprüchen der Väter“: „Es ist nicht deine Pflicht, die Arbeit zu vollenden, aber es steht dir nicht frei, sich ihrer zu entledigen!“ (Pirqe Avot 2,21).

Die Buber-Rosenzweig-Medaille ist dafür die höchste Anerkennung und zugleich Ermutigung! Herzliche Gratulation Ihnen und Ihrem Team für diese verdiente Auszeichnung und viel Erfolg und Gottes Segen für Ihre weitere Arbeit! Shalom!

  Es gilt das gesprochene Wort der frei vorgetragenen Laudatio!

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

1 Kommentar

  • Ich nehme an, ich bin nicht der Einzige, der Kardinal Marx nicht für einen tiefen Denker hält. Als ein Meister der Anpassung läßt er sich vom Strom des säkularen und theologischen Zeitgeistes mitreißen. Sein rhetorisches Talent kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß er sich zumeist in Allgemeinplätzen ergeht. Es verwundert daher nicht, daß er es in seiner Laudatio nicht so genau mit der Wahrheit hält.
    In seiner Rede spricht der Kardinal Christian Stückl seine Anerkennung aus, daß er die Passionsspiele von der Beschuldiung der Juden als Gottesmörder befreit habe. Die These vom Gottesmord sei Ursache des Antijudaismus während vieler Jahrhunderte.
    So beklagenswert Antijudaismus ist, so kann er nicht geschichtsfälschend rechtfertigen, daß der Tod Jesu “primär der römischen Besatzungsmacht” zuzuschreiben sei. Alle vier Evangelien bezeugen übereinstimmend, daß die Pharisäer, Schriftgelehrten und Hohenpriester Jesus als Messias ablehnten, ihn gefangen nehmen ließen, ihn im Hohen Rat (Synhedrion) des Todes für schuldig fanden (Mt 26,66; Mk 14,64; Lk 23,5) und ihn vor Pilatus anklagten (Joh 18, 28-31). Wie kann der Kardinal dann wahrheitswidrig und manipulativ formulieren: “Aus heutiger Sicht erkennen wir s c h o n in den Evangelien eine Verschiebung der Schuld am Tode Jesu auf die Juden.”
    Den Antijudaismus hat es nicht zu allen Zeiten gegeben. In Worms, Mainz und Speyer beispielsweise gab es blühende jüdische Gemeinden, bis Kreuzritter der friedlichen Koexistenz ein Ende bereiteten.
    Daß Jesus im Passionsspiel eine Kippa trägt, müßte eigentlich Juden selbst peinlich sein, da diese Kopfbedeckung erst ab 500 n.Chr. bezeugt ist. Hier will sich der Spielleiter den Juden auf Kosten historischer Wahrheit andienen.

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