Kultur

“Triage”-Premiere im Salzburger Landestheater

Veröffentlicht von Toni Hötzelsperger

Schmerzhaft brannte sich das französische Wort „Triage“ während der Corona-Epidemie ins kollektive Bewusstsein. Der Begriff, vom Verb „trier“ (sortieren, auslesen) abgeleitet, steht im klinischen Kontext für die Priorisierung medizinischer Behandlung, wenn die personellen und materiellen Ressourcen wegen der hohen Anzahl von Notfall-Patienten nicht mehr ausreichen und diese nach einer bestimmten „Rangordnung“ versorgt oder, im schlimmsten Fall, nicht mehr versorgt werden. Dieses aus der Militärmedizin stammende Verfahren gilt nur im Katastrophen-Fall und ist ethisch umstritten.

„Triage“ als Titel eines Theaterstücks weckt also unangenehme Assoziationen. Umso mutiger ist es, wenn das Salzburger Landestheater das vor knapp drei Jahren in Tel Aviv uraufgeführte Stück von Maya Arad Yasur (*1976) als österreichische Erstaufführung (die deutsche Erstaufführung war letztes Jahr in Kassel) auf die Bühne bringt. Das Publikum erlebt eine temporeiche, aber nie gehetzt wirkende Inszenierung (Ebru Tartıcı Borchers). Die tiefsinnigen, grundlegende Fragen nach dem Wert des menschlichen Lebens auslotende Dialoge bekommen durch die vortrefflichen Darsteller/innen und durch kluge Nutzung der gesamten Bühne eine Lebendigkeit, die phasenweise vergessen lässt, dass hier ein tod-ernstes Thema abgehandelt wird.

Maya Arad Yasur entwickelt das Thema „Triage“ anhand eines apokalyptischen Modellfalls: Eine Hitzewelle und Brände bringen die Kliniken an ihre Grenzen und zwingen Ärzte, unter Zeitdruck Entscheidungen zu treffen, die sie psychisch belasten. Chefärztin Prof. Blankenburg (eindringlich: KS Britta Bayer) und Dr. Bosic (bestens disponiert: Maximilian Paier) reden sich über medizinische Ethik die Köpfe heiß, sind zwischen fachlichen, rechtlichen und humanitären Kriterien hin- und hergerissen. Dazu kommen emotionale Dilemmata: Blankenburgs Ehemann ist schwerkrank, und Bosic hat eine außereheliche Affäre mit seiner Kollegin Dr. Majewski (Nikola Jaritz-Rudle). Assistenzarzt Bruno (Luca-Noél Bock) stürzt mit immer schlimmeren Nachrichten in die Besprechungen.

Dazu üben Angehörige von Patienten emotionalen Druck auf die Ärzte aus. Edgar Jordan (großartig: Christoph Wieschke), ein emotionslos wirkender Technokrat mit autistischen Zügen und Vertreter des KI-basierten Transhumanismus, wird menschlich, ja rührend kindlich, wenn es um das Leben seiner Mutter geht. Petra Löwe (überzeugend: Tina Eberhardt) beschwört die Ärzte, bei ihrem Ehemann nicht das Alter, sondern Lebenswillen und Lebensleistung bei der Triage gelten zu lassen. Dabei spielt die junge Frau ihren 70-jährigen Mann gegen dessen 40-jährigen Sohn aus erster Ehe aus. Wem von beiden steht das einzig übrige Beatmungsgerät zu?

Die Salzburger Inszenierung verzichtet auf Effekte, sogar auf Requisiten. Das abstrakte, gänzlich weiße Bühnenbild (Sam Beklik) deutet eine Klinik an und lässt genug Raum für die Wirkung der Dialoge. Bewegungen werden durch elektronische Ton-Sequenzen (Daniel Catalán Dávila) rhythmisiert. Gelegentlich lockert die Inszenierung durch Illusions-Brechung das Stück auf und schafft jene befreiende Komik (comic relief), die ein Drama, und sei die Handlung noch so bedrückend, kurzweilig macht. Das gelingt dem Landestheater mit „Triage“ hervorragend. Die Premierenbesucher bekundeten dies mit enthusiastischem Beifall.

Das Stück läuft bis einschließlich 17.03.2026. Näheres unter: https://www.salzburger-landestheater.at

Text: Helmut Rieger  –  Fotos: Tobias Witzgall (Salzburger Landestheater)   –  Überzeugende Darstellung der Ärzte und Angehörigen (v.l.n.r.): Luca-Noél Bock, Christoph Wieschke, KS Britta Bayer, Tina Eberhardt, Maximilian Paier, Nikola Jaritz-Rudle

 

 

 


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