„Liebster Schatz, wie Du mich dauerst, kann ich in Worten nicht aussprechen!“ Hand Sütterlin-Schrift im Freilichtmuseum Amerang aufs Herz: Wer hat schon jemals einen Liebesbrief mit solch berührenden Formulierungen bekommen?
Karin Silmbrod hat ihn in einer Kiste auf dem Dachboden entdeckt und zum Termin ins Freilichtmuseum Amerang des Bezirks Oberbayern mitgebracht. Mit dieser liebevollen Ansprache beginnt ein Brief vom 4. April 1896, der in Sütterlin-Schrift geschrieben ist. „Es ist ein Brief meiner Urgroßmutter an meinen Urgroßvater. Der war Bergwerksdirektor in Hausham. Ich habe einige solcher Briefe, die ich nicht lesen kann. Ich will dadurch einiges aus meiner Familiengeschichte erfahren.“
Das Freilichtmuseum Amerang hat einen Nachmittag lang in der Sütterlin-Sprechstunde Hilfe angeboten. Barbara Sailer ist Süttterlin-Expertin und kann den Brief recht flüssig vorlesen. „Das ist nicht immer einfach, aber wirklich spannend. Ich lese so viele persönliche Geschichten, die sind zu schade für die Papiertonne. Sie müssen für die Nachwelt erhalten bleiben.“ So etwa die Geschichte eines jungen Soldaten, die sie vor kurzem im Auftrag einer Kundin entziffert hat. Er erzählte seinen Angehörigen in vielen Briefen sehr lebendig vom Alltag an der Kriegsfront des zweiten Weltkriegs, wo zwei Jahre später zu Tode kam. „Die Schilderungen haben mich sehr mitgenommen, aus seinen Schilderungen hätte man ein Buch schreiben können.“
Ludwig Sütterlin entwickelte 1911 im Auftrag des Preußischen Kultur- und Schulministeriums eine kinderfreundliche Handschrift. Diese sogenannte Sütterlin Schrift war bis 1941 die Ausgangsschrift der ABC-Schützen. Viele erinnern sich noch an die gezackten, steil aufgestellten Buchstaben. Die Schrift sollte die Benutzung von Schreibgeräten ermöglichen, mit denen eine gleichmäßige Strichstärke erzeugt werden konnte. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wird die deutsche Kurrent- und Sütterlin kaum noch verwendet.
Karin Silmbrod hat außer ihrem schönen Liebesbrief auch eine alte Wirtshausrechnung von 1880 dabei: Zwei Glas Bier kosteten damals 12 Pfennig, verzehrt wurde auch Brot. Außerdem standen vier Krügerl Bier auf die Rechnung. Zuhause hat sie noch mehr schriftliche Zeugnisse aus vergangener Zeit, unter anderem ein Kochbuch, das sie inzwischen abfotografiert und digitalisiert hat. „Es ist von meiner Urgroßmutter, die wunderbare Rezepte aufgeschrieben habe, die ich nach und nach ausprobiere.“ Gekommen zur Sprechstunde ist auch Renate Engelhardt, die Rezepte ihrer Mutter in Sütterlin gefunden hat. „Ich bin hier, weil mich das Thema generell interessiert. Und weil ich die Schrift auch selber ausprobieren will. Ich habe schon ein ganzes Heft selbst geschrieben. Mich würde es freuen, wenn es irgendwo einmal Kurse dazu geben würde.“
Sütterlin-Expertin Barbara Sailer versteht diese Leidenschaft, schließlich wurde sie selbst davon erfasst. „Schuld“ daran ist der ehemalige Wasserburger Kreisheimatpfleger Ferdinand Steffan. „Er war mein Lehrer, von dem ich alles gelernt habe und ihn auch jederzeit fragen kann, wenn ich nicht weiterweiß.“ Ihr jüngstes eigenes Projekt ist ein altes Schulheft. Es stammt von der Schwester ihres Schwiegervaters. „Da sind auf den letzten Seiten auch Rezepte drin. Die muss ich alle ausprobieren, wie etwa die Zitronenkücherl oder das Kleingebäck.“ Barbara Sailer hofft, dass sienoch viele weitere spannende Dokumente in Sütterlin in die Hände bekommt. „Ich kann nur sagen: Wer alte Briefe oder Hefte in Sütterlin findet – bitte nicht wegwerfen. Es sind wertvolle Andenken an frühere Zeiten, die wir für unsere Nachkommen erhalten sollten.“ Das Freilichtmuseum Amerang würde gern historische Schulhefte, Tagebücher oder Briefe in seine Sammlung aufnehmen. Hierfür bitte anrufen unter 08075-915090 oder eine E-Mail an museum@flm-amerang.de schreiben.
Bericht und Fotos: Bezirk Oberbayern, FLM Amerang
–Barbara Sailer, Karin Silmbrod und Renate Engelhardt beim Entziffern von Briefen in Sütterlin-Schrift. (von links nach rechts)
– Ein Liebesbrief in Sütterlin




