Kultur

„Schneesturm“ bei den Salzburger Festspielen

Veröffentlicht von Toni Hötzelsperger

Fatale Irrfahrt zu sich selbst  – Uraufführung der Bühnenfassung von Sorokins „Schneesturm“ bei den Salzburger Festspielen  – Das Motiv des Schneesturms in der russischen Literatur geht auf Puschkin und Tolstoj zurück. Vladimir Sorokin (*1955) nutzt es für eine mehrdeutige Parabel.

In seinem Roman „Der Schneesturm“ (2012) begibt sich – Kafka lässt grüßen – ein Landarzt auf die Fahrt durch eine winterliche Schneewüste, um in einem entlegenen Dorf eine mysteriöse Seuche zu bekämpfen. Sorokin verwebt, in der Tradition Gogols, Realistisches mit Phantastischem. Als Putin-Gegner leben sowohl Sorokin als auch der Regisseur Kirill Serebrennikov seit 2022 in Berlin.

Letzterer erstellte eine russische Bühnenfassung des „Schneesturms“, die Andreas Tretner ins Deutsche übertrug. Die Koproduktion der „Kirill & Friends Company“ mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus wurde am Samstag auf der Perner-Insel in Hallein uraufgeführt. Es war die letzte Schauspiel-Premiere der diesjährigen Salzburger Festspiele.

Gehörte es zur Inszenierung, die Zuschauer in der ausverkauften Ex-Saline, die als Außenspielstätte der Festspiele dient, gut fünf Minuten auf den Auftritt der Protagonisten warten zu lassen? Oder war dies technisch bedingt? Technik wird in Serebrennikovs „Schneesturm“-Fassung jedenfalls üppig eingesetzt.

Dr. Garin (großartig: August Diehl) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Bewohner eines Dorfes gegen ein Virus zu impfen, das sie zu Zombies macht. Wie die Epidemie aus Bolivien in das russische „Krähwinkel“ (so nennt es Garin einmal) eingeschleppt wurde, ist unklar.

Garin ist auf die Hilfe des Kutschers Kozma/Perkhusha (Filipp Avdeev) angewiesen, dessen Schlitten von Mini-Pferden gezogen wird. Serebrennikov lässt die beiden auf einem Kinderkarussell im Kreis fahren. Dabei kommt es zu komisch-skurrilen Szenen. An einer Mühle wird Garin von der Müllerin, die als ausgepolsterte Erotik-Puppe erscheint, verführt. Nächste Station: ein Jurten-Dorf. Plötzlich ist man bei zentralasiatischen Nomaden, die an Garin eine halluzinogene Substanz testen. Der drogenindizierte Alptraum gipfelt in seiner „Hinrichtung“. Garins Irrfahrt entpuppt sich als Trip in die eigenen Abgründe.

„Der Schneesturm“ ist ein Bühnen-Spektakel, das teilweise in Klamauk abrutscht. Video-Technik ist im Theater kein Novum, und man fragt sich, wie sinnvoll es ist, auf der Bühne Gespieltes per Live-Kamera vergrößert auf Flächen im Bühnenraum zu projizieren. Mit der Live-Musik verhält es sich anders: Marimba, Akkordeon und Perkussion fügen sich atmosphärisch in den Handlungsablauf. Vorbereitete Video-Einspielungen, die in Breitformat am oberen Bühnenrand erscheinen, sind ironische Kommentare.

Dennoch stört manch Ungereimtes. Garin versteht den Kutscher nicht, wenn dieser Russisch spricht, hat aber kein Verständigungsproblem mit den anderen Figuren. Wenn Garin Deutscher ist, was sucht er in einem Dorf in der russischen Steppe? Ist er die Karikatur des deutschen Gutmenschen? Der eingedeutschte Name des Zielorts („Langenweiler“) klingt nach Kalauer. Die englische Übersetzung („Roads End“) wirkt plausibler. Reizvoll ist die Personifizierung des Schneesturms und die Verteilung auf neun Darstellerinnen. Einerseits ist dies dem russischen Originalwort „Metel“ geschuldet, das feminin ist. Andererseits wird der Schneesturm zu einem vielstimmigen Dialog-Partner.

Wer auf politische Anspielungen wartet, wird enttäuscht. Serebrennikovs „Schneesturm“ kommt über eine postmoderne „Anything-Goes“-Farce kaum hinaus. Einer Reihe von Besuchern war das zu platt: Sie verließen zur Pause die Vorstellung. Wären sie bis zum Ende geblieben, hätten sie, neben dem hervorragenden Ensemble, auch dem persönlich anwesenden Vladimir Sorokin applaudieren können.

Weitere Aufführungen: 18., 20., 22., 23., 24., 26.08. (www.salzburgerfestspiele.at)

Text: Helmut Rieger  /  Fotos: Sandra Then (Salzburger Festspiele)

Bild-Unterschriften:

  • August Diehl überzeugt als Dr. Garin.
  • Schlussapplaus für Autor Vladimir Sorokin (vorne, Mitte), Regisseur Kirill Serebrennikov (links) und das Ensemble

 

 


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Toni Hötzelsperger

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