Mit der Premiere von „Ulrika oder Die Entscheidung um Mitternacht“ ist der Theatergesellschaft Kiefersfelden e. V. am 26. Juli 2025 ein eindrucksvoller Start in die diesjährigen Ritterschauspiele geglückt. Das Ritterschauspiel von Josef Georg Schmalz aus dem Jahr 1836, das in Kiefersfelden seit 1932 in regelmäßigen Zyklen zur Aufführung kommt, wurde unter der Regie von Philipp Kurz in einer stimmigen Neufassung präsentiert. Kurz, der seit dem Tod des langjährigen Spielleiters Andreas Gruber im Jahr 2018 die künstlerische Verantwortung trägt, führte das Ensemble mit sicherer Hand, historischem Feingefühl und Sinn für dramatische Wirkung.
Im Zentrum der Handlung steht die junge Gräfin Ulrika, die zwischen einem Treueschwur an ihren in den Kreuzzug ziehenden Geliebten Siegfried und einem politischen Heiratsversprechen an Graf Karl von Warry hin- und hergerissen ist. Als Siegfried überraschend zurückkehrt, spitzt sich die Lage dramatisch zu. Ein Gottesurteil um Mitternacht soll das letzte Wort sprechen. Der innere Konflikt zwischen Loyalität und Liebe, Pflicht und Selbstbestimmung zieht sich als tragende Linie durch das Stück – differenziert erzählt, ohne melodramatisch zu wirken.
Die Regie blieb den Wurzeln des historischen Volkstheaters treu und bewahrte dessen Sprache, Gestik und Erzählweise. Gleichzeitig gelang es Philipp Kurz, durch stringente Figurenzeichnung, dramaturgisch klug gesetzte Pausen und stimmungsvolle Lichtwechsel eine bemerkenswerte Intensität zu erzeugen. Besonders Ulrikas seelische Zerrissenheit wurde auf diese Weise eindrücklich erfahrbar gemacht. Für wohldosierte Auflockerung sorgte die Kasperlfigur Lipperl, die mit spitzem Humor und authentischem Dialekt für heitere Zwischentöne sorgte – ohne die Tiefe des Geschehens zu unterminieren.
Das Ensemble überzeugte durchweg mit starker Bühnenpräsenz und einem bemerkenswerten Gespür für Rollenführung. Die Darstellerin der Ulrika gestaltete ihre Figur mit feinem Ausdruck, klarer Stimme und nuancierter Körpersprache. Ihre Leistung reichte von leiser Selbstzweifel bis zu entschlossener Klarheit. Der Siegfried-Darsteller setzte mit stiller Würde und emotionaler Präzision glaubwürdige Akzente. Graf Karl von Warry wurde differenziert als Vertreter von Standesehre und Ordnung gezeichnet, ohne ins Schwarz-Weiß zu verfallen. Eindruck hinterließ auch der Darsteller des Räuberhauptmanns: mit kraftvoller Stimme, markanter Mimik und großer Bühnenpräsenz verlieh er seiner Figur Tiefe und Charisma – insbesondere in den Szenen mit Ulrika. Ein besonderer Publikumsliebling war Lipperl, der mit perfektem Timing, starker Körpersprache und humorvoller Leichtigkeit immer wieder für befreites Lachen sorgte.
Ein weiterer Höhepunkt der Aufführung war das eindrucksvolle Bühnenbild auf der barocken Drehkulissenbühne der Comedihütte. In minutiöser Handarbeit verwandelten sich die Kulissen mit präzisem Wechsel in Burgräume, Turnierplätze und Sakralräume. Die detailreichen Kostüme spiegelten die soziale Stellung der Figuren authentisch wider und trugen ebenso zur Atmosphäre bei wie die stimmungsvolle Livemusik der Musikkapelle Kiefersfelden. Der eigens arrangierte Chorgesang des hauseigenen Ensembles rahmte die zentralen Szenen eindrucksvoll und verlieh der Aufführung zusätzliche emotionale Tiefe.
Das Publikum im voll besetzten Theaterstadl zeigte sich begeistert: Szenenapplaus, herzhaftes Lachen bei Lipperl und stehende Ovationen zum Schluss belegen den starken Eindruck, den die Premiere hinterließ.
„Ulrika oder Die Entscheidung um Mitternacht“ ist weit mehr als ein historisches Ritterschauspiel – es ist ein eindrucksvolles Beispiel für lebendiges, gemeinschaftlich getragenes Theater mit Herz, Tradition und künstlerischem Anspruch. Eine klare Empfehlung für alle, die Authentizität, Atmosphäre und leidenschaftliches Spiel zu schätzen wissen.
Bericht und Fotos: Volkhard Steffenhagen








