Ein großer Theatermoment endet – und mit ihm ein außergewöhnliches Gemeinschaftswerk in Neubeuern
Ein stiller Morgen nach lauten Abenden
Kaum ist der letzte Applaus verklungen, beginnt ein ganz anderes Schauspiel – leiser, aber nicht minder bedeutend: der Abbau. In den frühen Morgenstunden danach liegt der Neubeurer Marktplatz ruhig da, als hätte er selbst noch Mühe, den Zauber der vergangenen Abende loszulassen. Nur wenige Stunden zuvor war hier noch das Herzstück des „Jedermann“-Spektakels – heute dominiert wieder das Praktische: Leitern, Schraubenschlüssel, schweißnasse T-Shirts und routinierte Handgriffe.

Die Kulisse verschwindet – aber die Erinnerungen bleiben. Mit vereinten Kräften wird am Tag nach der letzten Aufführung abgebaut.
Eine Bühne, gebaut auf Gemeinschaft
Was in monatelanger Vorbereitung mit großem logistischen und organisatorischen Aufwand aufgebaut wurde, verschwindet binnen weniger Stunden. Doch was bleibt, ist mehr als ein leeres Gerüst: Es ist das Gefühl, Teil von etwas Größerem gewesen zu sein – ein kulturelles Ereignis, getragen vom Ehrenamt, vom Gemeinsinn, vom Willen, sich künstlerisch auszudrücken.
Die Inszenierung des „Bayerischen Jedermann“ von Oskar Weber – frei nach Hugo von Hofmannsthal – war mehr als nur Theater. Es war ein Fest für Augen, Ohren und Herz. In der bildgewaltigen Kulisse des historischen Marktplatzes wurde gelacht, gezittert, geweint – und gestaunt.
Heinz Baumgartner: Motor, Regisseur, Seele
An der Spitze dieser gewaltigen Kraftanstrengung: Heinz „Klarei“ Baumgartner. Als künstlerischer Gesamtleiter und Vorsitzender der Theatergesellschaft Neubeuern war er unermüdlich im Einsatz – als Organisator, Motivator, Mahner und Mutmacher. Er war die zentrale Figur, die alle Fäden zusammenhielt.

Heinz Baumgartner beim Einweisen der Helfer – auch nach der letzten Vorstellung selbst mit anpackend.
Laienschauspiel mit professioneller Wirkung
Was die über 100 Darstellerinnen und Darsteller auf die Bühne brachten, war in jeder Hinsicht beeindruckend. Mit bemerkenswerter Ausdruckskraft und Bühnensicherheit wurde aus einem Laienspiel eine tief bewegende Aufführung. Bernd Eutermoser überzeugte als „Jedermann“ mit emotionaler Tiefe und Präsenz, Markus Leitner als glänzend-überheblicher „Mammon“, Johanna Zaiser als ruhige Kraft des „Glaubens“, Susanne Schörghuber als anrührende Buhlschaft – sie alle machten die Geschichte vom Sterben des reichen Mannes greifbar, menschlich und erschütternd schön.

Sechs gut besuchte Vorstellungen liegen hinter den Schauspielern
Volle Tribünen, bewegtes Publikum
Sechs Abende lang war der Marktplatz bis auf den letzten Platz gefüllt – bei der finalen Vorstellung wurden sogar noch zusätzliche Stuhlreihen aufgestellt. Über 3.000 Zuschauer verfolgten die Inszenierung unter freiem Himmel – begleitet von Sonnenuntergang, Kirchturmgeläut und später aufsteigendem Mond.
Ein Abschied mit Würde – und Wehmut
Der letzte Abend war kein gewöhnlicher Schluss. Er war emotional aufgeladen – für Publikum wie für Ensemble. Als nach der finalen Szene der Applaus brandete, war es nicht nur Dank – es war Anerkennung, Respekt und stille Rührung. Wer dabei war, spürte: So etwas erlebt man nicht oft.
Und dann, ganz plötzlich, beginnt der Abbau. Dieselben Menschen, die Tage zuvor noch als Engel, Teufel oder himmlische Boten auf der Bühne standen, tragen jetzt Stangen, schieben Kabelrollen, schrauben Traversen ab.

Mitglieder des Ensembles beim Abbau – die Rollen sind abgelegt, die Gemeinschaft bleibt.
Ein herzliches Danke an alle Mitwirkenden
Ein Projekt dieser Größenordnung ist ohne unzählige stille Heldinnen und Helden nicht möglich. An dieser Stelle sei ein tief empfundener Dank ausgesprochen: an alle Schauspielerinnen und Schauspieler, Musikerinnen und Musiker, an das Technik-Team, an Maskenbildner, Bühnenbauer, Requisiteure, Kartenabreißer, Platzanweiser, Bäcker, Näherinnen, Helfer, Sponsoren, Gemeindevertreter – und an das Publikum. Ihr alle habt gezeigt, dass Kultur dann am stärksten ist, wenn sie aus der Mitte der Gesellschaft kommt.
Theater vergeht – Wirkung bleibt
Mit dem letzten Handgriff verschwindet die Bühne aus dem Ortsbild. Aber sie bleibt in Erinnerung – in den Herzen der Mitwirkenden, im Stolz der Dorfgemeinschaft, in Gesprächen auf dem Wochenmarkt und bei einem kühlen Bier im Gasthaus. Denn was hier entstanden ist, war mehr als ein Spiel: Es war gelebte Gemeinschaft, kultureller Reichtum, Ausdruck von Zusammenhalt.

Der Applaus ist verklungen – aber das Echo bleibt. Und es wird lange nachhallen.
Text & Fotos: Rainer Nitzsche













