Den Menschen den Spiegel vorgehalten – „Macht und Vergänglichkeit“ von Andreas Kuhnlein auf der Burganlage in Burghausen.
Ein besonderes Erlebnis ist es immer, die größte Burganlage der Welt in Burghausen zu besuchen. In diesem Jahr aber, wo das 1000jährige Bestehen der Stadt Burghausen gefeiert wird, ist es auch ein besonders außergewöhnliches Kunsterlebnis: Der inzwischen weltbekannte Künstler Andreas Kuhnlein stellt auf der Außenanlage der Burg viele seiner „Menschenbilder“ unter dem Titel „Macht und Vergänglichkeit“ bis zum 31. Oktober aus. Die Architektur der ehrwürdig alten Burganlage tut das Ihrige dazu, dass Kuhnleins Menschenskulpturen – seien sie auch über Menschengroß – so klein und zerbrechlich wirken. Besonders der „Einzug der Bischöfe“ im dritten Burghof – beinahe von jedem der Besucher fotografiert – stellt den „Stellvertreter Gottes“ und dessen übrige kirchliche Vertreter als Individuen dar. Kuhnleins Porträts aus Hartholz, oft Esche, sind mit der Kreissäge gefertigt – ruppig zerklüftete Figuren – zeigen trotz der hohen Insignien der Macht wie Mitra und liturgischen Gewändern, Reichsapfel oder Szepter die unverwechselbaren, einmaligen menschlichen Charaktere, die allesamt offensichtlich auch schwach, zerbrechlich, vom Alter gebeugt und vor allem vergänglich sind. Viele der Figuren hat der Künstler bereits vor Jahrzehnten gefertigt und sie für Ausstellungen schon in viele Länder transportiert.
Die Ausstellung auf der Burg zeigt die Weltsicht und das Anliegen des Unterwössener Bildhauers Andreas Kuhnlein, das hinter seinem gesamten Kunstschaffen steht, besonders eindrucksvoll. Der 1953 geborene Künstler möchte der Welt (und sich selbst!) gleichsam den Spiegel vorhalten, Einsichten auslösen und bei vielen eine Umkehr vom falschen Weg bewirken. Das war in allen seinen Einzelausstellungen – inzwischen in 16 Ländern und Ausstellungsbeteiligungen der Fall. So zum Beispiel bei der im Kulturforum Klosterkirche in Traunstein viel beachteten Präsentation „Das Narrenschiff“,wo er die 1494 in Basel als Buch erschienene spätmittelalterliche Moralsatire „Das Narrenschiff“ von Sebastian Brant (1457 bis 1521) zum Vorbild für seine Installation nahm und in die Gegenwart transkribierte. Wie dem Autor gelang es auch dem Künstler, witzig ironisch menschliche Fehler und Laster bildlich darzustellen wie Eitelkeit, Geiz, Habgier, Geschwätzigkeit, Stolz oder Ehebruch. Kuhnlein will zeigen, dass der Einzelne so oft nur sich selbst, seine eigenen Überzeugungen und Vorstellungen sieht und alles dafür tut, jedoch das große Ganze und die Mitmenschen dabei jedoch völlig außer Acht lässt. Im vierten Vorhof der Burganlage sind Herzogin Hedwig Herzog Georg der Reiche, Ehrerbietung für Herzogin Hedwig und nochmal Herzog Georg der Reiche in Holz gearbeitet, im zweiten Vorhof Äbte, Gerichtsbarkeit, Bauern und Kaufleute.
Großen Wert legt Kuhnlein darauf, junge Menschen, zum Beispiel Schulklassen, an die Kunst heranzuführen, sie auch Mitmenschen verständlich zu machen, die keine großartige Vorbildung, aber ihren gesunden Menschenverstand bewahrt haben. Dazu eignen sich seine Werke hervorragend.
Künstlerische Enwicklung
Die künstlerische Entwicklung ist bei Andreas Kuhnlein außergewöhnlich und erstaunlich: Er absolvierte erst eine Schreinerlehre, arbeitete mehrere Jahre in diesem Beruf, danach neun Jahre lang beim Bundesgrenzschutz und übernahm schließlich den elterlichen Bauernhof. In seiner von Anfang an kritischen Sicht auf Politik und Gesellschaft gab er die Landwirtschaft auf, als er die EU-subventionierten Stierkälberverbrennungen erlebte, und versuchte ab da, von seinen figürlich realistischen Schnitzarbeiten zu leben, von denen zwei in der Präsentation zu sehen sind. Das war nicht immer einfach. Es folgten viele Jahre harter Arbeit um die eigene künstlerische Entwicklung. Erstmal waren sie, besonders in finanzieller Hinsicht, nicht gerade vielversprechend, was nur durchgehalten werden konnte, weil die Familie in allen schwierigen Zeiten – insbesondere seine Frau und die vier Töchter, aber auch seine Mutter – stets hinter ihm standen.
Zu den damals entstandenen naturalistisch, sensibel ausgestalteten Porträtköpfen, einigen abstrakten Arbeiten und Halbreliefs kamen später die Tischbildnisse, von denen um das Jahr 1994 ganze 76 in nur zehn Wochen entstanden. Sie waren bereits damals der Beweis für Kuhnleins Fähigkeit, seine Anliegen mit allgemein verständlichen Motiven und Titeln abstrakt zu vermitteln. Seine inzwischen berühmten zerklüfteten Figuren begannen mit dem „Großinqisitor“, einer Figur, zu der ein Fernsehinterview zwischen dem damaligen Intendanten der Münchner Staatsoper August Everding und Georg Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI., der Anlass war. Es folgte eine Reihe von kirchlichen „Stellvertretern“.
„Meine Arbeit geschieht im Bewusstsein eines unglaublichen Privilegs, nämlich einer nahezu uneingeschränkten Freiheit unserer Gedanken und Ausdrucksformen. Das ist beim Blick über unsere Grenzen hinweg alles andere als selbstverständlich. Deshalb bin ich auch zutiefst davon überzeugt, dass sich der Künstler, beziehungsweise die Kunst, einer gesellschaftspolitischen Verantwortung weder verweigern kann noch darf.“, sagte Kuhnlein kürzlich in einem Interview.
Daher wollte er niemals irgendwelche Karikaturen fertigen, denn immer meinte er es ernst. Er zeigt einerseits die Verletzbarkeit und Zerbrechlichkeit, andererseits die Brutalität und Gewalttätigkeit des Menschen gegeneinander und gegenüber der Natur. Dieses tiefe, ernste Anliegen des Künstlers spüren die Betrachter bei seinen Skulpturen und erst recht, wenn er selbst spricht und seine Kunst erklärt. Sein Engagement äußert sich nicht als isolierte künstlerische Eruption, sondern als wirkliche Dialogbereitschaft, als verständliches Zeichen, aber auch als Appell an die Betrachter. So ist sich Andreas Kuhnlein niemals zu schade, mit einem Interessierten zu sprechen, niemals tritt er als „abgehobener“, arroganter Künstler auf – der Ruhm ist ihm nicht zu Kopf gestiegen. Denn von Ruhm kann man bei dem Werdegang dieses Autodidakten inzwischen wirklich sprechen. Vor etwa 35 Jahren fanden in Unterwössen und in Schleching Kuhnleins erste Ausstellungen statt. Es gab viele Auszeichnungen, darunter eine Gastprofessur in China oder den Oberbayerischen Kulturpreis. Schon längst kann Kuhnlein nicht mehr alle Aufträge und Angebote für Ausstellungen in aller Welt annehmen.
Bericht und Bilder: Christiane Giesen – „Einzug der Bischöfe“ von Andreas Kuhnlein auf der Burg Burghausen im dritten Vorhof.
Herzogin Hedwig, Herzog Georg der Reiche, Ehrerbietung für Herzogin Hedwig und Herzog Georg der Reiche von Andreas Kuhnlein im vierten Vorhof der Burg.








