Wirtschaft

Gespräch mit Präsident des Landkreistages

Veröffentlicht von Toni Hötzelsperger

Überfüllte Aufgabenlisten, leere Kassen, steigende Erwartungen: Deutschlands Kommunen schlagen Alarm. Immer mehr Landkreise, Städte und Gemeinden geraten finanziell so stark unter Druck, dass sie ihre gesetzlichen Pflichtaufgaben kaum noch aus eigener Kraft erfüllen können. Von der Kinderbetreuung über die Sozialhilfe bis hin zur Pflege tragen die Kommunen eine Last, die Jahr für Jahr wächst – während gleichzeitig die Einnahmen stagnieren oder sogar zurückgehen.

In einem gemeinsamen Brandbrief haben sich deshalb Landräte, Oberbürgermeister und Kämmerer aus allen Teilen des Landes an Bundesregierung und Landesregierungen gewandt. Ihre Botschaft ist eindeutig: Ohne eine grundlegende Kurskorrektur drohen massive Einschnitte in die kommunale Daseinsvorsorge, Investitionen werden verschoben, Projekte eingefroren, Strukturen ausgedünnt. Besonders dramatisch ist die Lage in den Sozialhaushalten, die vielerorts zur größten finanziellen Belastung geworden sind – und deren Dynamik die Kommunen längst nicht mehr aus eigener Kraft steuern können.

Kaum jemand kennt diese Situation so gut wie Thomas Karmasin, Landrat des Landkreises Fürstenfeldbruck und Präsident des Bayerischen Landkreistags. Seit Jahren beobachtet er, wie sich die finanzielle Schieflage der kommunalen Familie zuspitzt. Im Gespräch erklärt er, warum die kommunale Selbstverwaltung in eine gefährliche Schieflage geraten ist, welche politischen Entscheidungen dazu beigetragen haben – und was jetzt dringend geschehen muss, damit Städte und Landkreise ihre Aufgaben weiterhin verlässlich erfüllen können.

Herr Landrat, die Kommunen sprechen von einer finanziellen Schieflage historischen Ausmaßes. Wie ernst ist die Lage wirklich?

Die Lage ist so ernst wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wir sprechen von Rekorddefiziten und einer Ausgabendynamik, die jede solide Haushaltsführung unmöglich macht. Wenn wir nichts ändern, geraten zentrale öffentliche Aufgaben in Gefahr.

Wo liegen die Hauptursachen für diese Entwicklung?

Der Kern des Problems liegt in den massiv steigenden Sozialausgaben, die uns der Bund überträgt – ohne ausreichende Gegenfinanzierung. Die Kommunen tragen über 25 % der Ausgaben, erhalten jedoch nur 14 % der Steuereinnahmen. Unsere Kosten steigen zweistellig, während die Steuereinnahmen nur minimal wachsen. Dieses Ungleichgewicht reißt jedes Jahr größere Löcher in die Haushalte.

Viele Bürgermeister werfen Bund und Ländern vor, ihnen ständig neue Verpflichtungen aufzubürden. Teilen Sie diese Kritik?

Ja, eindeutig. Die Kommunen bekommen immer neue Aufgaben und immer höhere Standards vorgeschrieben – aber ohne das nötige Geld. Wer anschafft, muss auch bezahlen. Die Handlungsfähigkeit der Kommunen hängt entscheidend davon ab, dass sie sich wieder stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Wir brauchen daher endlich ein Ende der Praxis, dass Kommunen ständig Aufgaben und Standards erfüllen müssen, die andere beschließen.

Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht jetzt dringend geboten?

Angesichts der erheblichen strukturellen Schieflage der Kommunen brauchen wir zweierlei: Erstens eine echte Entlastung bei den Sozialausgaben – hier ist der Bund in der Pflicht. Dazu gehört auch ein konsequenter Abbau überflüssiger Bürokratie und Standards. Zweitens ein Kommunalentlastungspaket mit einer Verdreifachung des kommunalen Umsatzsteueranteils von derzeit 2 % auf 6 %. Wir müssen die Kommunen wieder handlungsfähig machen. Der Bund ist der wesentliche „Verursacher“ für die kommunalen Ausgabenbelastungen im Sozialbereich und muss sich dieser Verantwortung auch stellen.

Wie beurteilen Sie die Rolle der bayerischen Staatsregierung in dieser Situation?

Der Freistaat bleibt in schwierigen Zeiten ein verlässlicher Partner. Bayern steht zu seinen Kommunen und hat das im jüngsten Spitzengespräch zum kommunalen Finanzausgleich deutlich gezeigt. Das hilft, auch wenn die strukturellen Probleme damit noch nicht beseitigt sind.

Ministerpräsident Dr. Markus Söder hat Unterstützung des Landes im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs in Aussicht gestellt. Worin kann diese bestehen?

Die Erhöhung des Kommunalanteils auf 13,3 % im Jahr 2026 und auf 13,5 % im Jahr 2027 ist ein wichtiges Signal der Zuversicht. Die zusätzlichen Mittel für die Bezirke im Jahr 2026 entlasten uns spürbar bei den Bezirksumlagen. Das lindert den Druck – aber es ersetzt keine Reform der Sozialgesetzgebung.

Gibt es Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen?

Ja, aber die Grundprobleme sind überall die gleichen. In Städten schlagen Sozialkosten besonders zu Buche, im ländlichen Raum kommen lange Wege und Infrastrukturkosten hinzu. Das Grundproblem – zu viele Aufgaben, zu wenig Finanzierung – trifft alle.

Viele Kommunen denken über Einsparungen bei freiwilligen Leistungen nach. Welche Folgen hätte das?

Das trifft direkt das Herz der Gesellschaft. Freiwillige Leistungen sind das, was Lebensqualität ausmacht: Busverbindungen, Kultur, Sport, Jugendarbeit. Wenn wir hier kürzen müssen, spürt das jeder Bürger.

Wie sehen Sie die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung?

Die kommunale Selbstverwaltung steht an einem kritischen Punkt. Wenn Bund und Länder nicht gegensteuern, droht sie auszuhöhlen. Aber: Mit den richtigen Entscheidungen – weniger Bürokratie, faire Finanzierung und klare Prioritäten – können wir sie sichern. Wir kämpfen dafür.

Bericht und Bilder: Fritz Lutzenberger, Redaktion Weiß-Blaue Rundschau


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