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Was man zu Fahnen im Chiemgau wissen sollte

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Fahnen und Flaggen haben immer schon eine wichtige Rolle bei bedeutsamen Ereignissen in der Geschichte der Menschheit gespielt; sie haben patriotische Leidenschaft geweckt, die Freude bei Festlichkeiten und Feiern verstärkt oder bei einem Traueranlass ernste, feierliche Würde zum Ausdruck gebracht. Das hat sich in moderner Zeit nicht verändert. Die Fahne war als Kampf- und Siegeszeichen, aber auch als allgemeines Herrschaftszeichen schon Orientalen, Chinesen, Römern und Germanen bekann. Im frühen Altertum befanden sich auf der Fahne als Sinnbilder meistens Tierdarstellungen, so in Ägypten, Assyrien, Indien und Persien, aber auch bei den alten Griechen und Römern (Adler-Symbol). Kaiser Konstantin der Große benutzte als erster das Kreuz als religiöses Siegeszeichen auf der Wappenfahne (Schlacht an der Milvischen Brücke „In hoc signo vincis“). Aus den römischen Militär-Fahnen entstand dann die Kirchenfahne, wie sie mit ihrer Querstange noch heute bei den Prozessionen der katholischen Kirche in Gebrauch ist. Die „Heiligen-Fahnen“ gewannen darüber hinaus mit der Einführung der Fahnenweihe und des Fahnensegens an Bedeutung, als Fahnen im Abendland endgültig auch in kriegerischen Gebrauch genommen wurden; so besonders zum heiligen Krieg der Kreuzzüge oder zu päpstlichen Fahnen-Verleihungen seit der ersten Hälfte des 11.Jahrhunderts vor allem bei den Jerusalemfahrern.

In der abendländischen Geschichte kommt eine besondere Darstellung auf dem Fahnentuch erst seit dem Beginn des Wappenwesens vor. Fransenbesatz an den Fahnenseiten ist seit 1100 nachweisbar. Gestickte Fahnen kennt man seit etwa 1500, dabei wurden echte Gold- und Silberfäden verwendet; bemalte Fahnen waren über Jahrhunderte die Regel. Bis ins 16. Jahrhundert ist das quadratische Banner, dessen Tuch die Zeichnung des Wappenschildes wiedergibt, die normale Form der Fahne für selbständige Herren. Seit etwa 1800 erhielten die Fahnen Orden und Inschriften zur Erinnerung an Schlachten. Den Trauerflor an der Fahne kennt man seit 1572. Fahnenbänder, an der Spitze der Fahne befestigt, wurden seit 1743 bei militärischen Fahnen von Staatsoberhäuptern, bei nichtmilitärischen auch von Behörden, Verbänden und Einzelpersonen gestiftet. Die Fahnen dienten ursprünglich im Kampf als Richtungszeichen und Sammelpunkt für den Soldaten des jeweiligen Fähnleins. Aus dieser Bindung erwuchs die Bedeutung der Fahne als Symbol der christlichen und militärischen Ehre und Treue („Für Gott und Vaterland“).

Wie kirchliche Fahnen – geschmückt mit religiösen Zeichen oder Bildern – zur Ausstattung von Prozessionen. Todesfeiern und festlichen Anlässen gehören, so gelangte über das militärisches Brauchtum (z.B. die besonders ausgeprägte Landsknechtsfahne des 16.Jahrhunderts oder die Fahne im Dreißigjährigen Krieg), über die kirchlichen Vereine und Verbände die Fahne auch als Symbol und Zeichen christlicher Lebenshaltung in die Brauchtumsvereine als Zeichen gemeinsamer Herkunft und Zusammengehörigkeit bei öffentlichen Auftritten.

Fahne, Fahnenbänder und Zubehör

Bei den Trachtenvereinen ist der Wunsch nach einer eigenen Fahne stets eines der ersten Vereinsziele nach der Gründung. Im ausgehenden 19.Jahrhundert sah man Fahnen und Symbole, mehr noch als heute, als Sinnbilder für die Trachtenbewegung, als Sammel- und Orientierungspunkte für die jungen Vereine. In den Dörfern gab es in der Regel bereits mehrere Vereine, die über Fahnen verfügten: die Veteranenvereine wurden im Chiemgau nach 1815, bzw. nach dem Krieg von 1870/71 gegründet, die Freiwilligen Feuerwehren entstanden zwischen 1865 und 1880, auch viele Schützenvereine, Burschenvereine Musik- und Gesangsvereine haben ihr Gründungsdatum im ausgehenden 19.Jahrhundert. Alle führten sie bei Feiern, Festen oder Prozessionen eine Fahne mit sich. Wollte man als junger, neu gegründeter Verein mit den vorhandenen Vereinen auf einer Ebene stehen, so musste der neue Verein seinen Mitgliedern auch ein vergleichbares Symbol für den Zusammenhalt stellen.

Die Form und Art der Fahnen waren vorgegeben, die frühen Trachtenfahnen wiesen durchweg dieselben Maße auf, wie die anderen Vereinsfahnen dieser Epoche. (Diese Maße sind identisch mit den Maßen der Fahnen der Infanteriefahnen des 19.Jahrhunderts.)

Als Grundfarbe des Tuches wurde grün bevorzugt, erinnerte die grüne Farbe doch an die vorherrschenden Farben der Trachtenbekleidung und an die Farben der Wiesen und Wälder, kurz an die Heimat, deren Sitt und Tracht man erhalten wollte. Die beiden anderen möglichen Farben – Blau und Rot – waren im Dorf bereits durch die Veteranenvereine und die Feuerwehren in Beschlag genommen. Die Symbole auf den Fahnen wechselten von Ort zu Ort, auf der Schauseite der Fahne werden Motive aus der engeren Heimat, Baudenkmäler, markante Berge, Heiligendarstellungen oder berühmte Persönlichkeiten bevorzugt, die Rückseite zieren in der Regel Blumen oder Szenen aus dem Trachtenleben. Die Motive wurden zum Teil aufgedruckt, später dann gestickt. Heute verfügen die Vereine durchweg über handgestickte Fahnen, die in den wenigen Fahnenstickereien des Landes noch in langwieriger Handarbeit gefertigt werden.

Als weiteres Zubehör gehört zur Fahne die Spitze aus Messing, meist mit einem Edelweiß verziert, der Fahnenstock oder Fahnenstange aus Holz, heute zerlegbar und mit Messingbeschlägen versehen. Eine Lanze mit breiter Spitze war ursprünglich der Fahnenstock, die heutigen Spitzen erinnern zumindest in der Form noch an die Herkunft. Die Fahne wurde mit Messingnägeln angenagelt, in manchen Gegenden geht diese feierliche „Nagelung“ noch heute der eigentlichen Fahnenweihe voraus.

Standarten werden in der Frühzeit der Trachtenbewegung kaum erwähnt, die kleineren, meist quadratischen, starr am Fahnenstock befestigten Standarten waren in der Alten Armee vor Anno 1914 den berittenen Truppen zugeteilt und wurden darum für die Trachtler oder andere Vereine zu Fuß nicht gewählt. Erst in neuerer Zeit werden auch bei einigen Vereinen Fahnen in Standartenform geführt, der Chiemgau-Alpenverband hat seit 1984 seine Gaustandarte mit dem Bild der Seligen Irmengard von Frauenchiemsee.

Fahnenbänder sind bei den Trachtenvereinen von Anfang an belegt. Die Bänder von Fahnenmutter und Fahnenbraut, die Bänder der Trauermutter und der Festjungfrauen/Trachtendirndl, sowie das Band des Patenvereins gehören zur Grundausstattung einer jeden Fahne. Reich gestickt werden sie bei der Fahnenweihe an die Spitze der neuen Fahne geheftet und erinnern die Stifter und den Verein zeitlebens an den Ehrentag der Fahne. Zu besonderen Anlässen – Gründungsjubiläen oder der Übernahme weiterer Patenschaften – werden zusätzliche Fahnenbänder gestiftet; besonders aus der Frühzeit der Vereine um die Jahrhundertwende bis zum ersten Weltkrieg sind viele Bänder als Preise erhalten geblieben, Meist- und Weitpreise, die voller Stolz bei den folgenden Trachtenfesten mitgeführt wurden.

Fähnrich und Fahnenjunker

Die Fahne galt von jeher bei allen Völkern als ein Heiligtum, ein Kultobjekt, das – kirchlich geweiht – an besonderer Stelle aufbewahrt werden musste. Veteranenfahnen werden in einigen Orten noch heute in der Kirche oder in der Sakristei aufbewahrt. Die Trachtenfahnen haben heute fast alle eine Herberge in einer Gaststätte des Dorfes gefunden oder werden (neuerdings) in den Fahnenschränken der Trachtenheime verwahrt.

Der Fahnenträger (nebeneinander sind beide Bezeichnungen Fähnrich und Fahnenjunker gebräuchlich) wurde besonders ausgewählt und hat die Fahne während des Gebrauchs pfleglich zu beschützen. Wenn die Fahne in der Öffentlichkeit ist, darf sie nicht aus der Hand ihres Trägers gegeben werden. Das Amt des Fähnrichs war (und ist) ein Ehrenamt, das seinen Inhaber weit über die Gleichaltrigen heraushob. Als Zeichen seines Amtes und seiner Würde trägt er noch heute die Schärpe und die silberdurchwirkte Hutschnur, die ihn aus der Menge der Trachtler heraushebt.

Die Schärpe ist ein Relikt des früheren Wehrgehänges zum sicheren Tragen der blanken Seitenwaffen (Säbel, Degen), sie verläuft über die Schulter zur Hüfte, so dass der (nicht vorhandene) Degen ohne Behinderung frei gezogen werden kann. In den modernen Ordensbändern hoher Stufen, die als Schärpe getragen werden, wirken die früheren Wehrgehänge ebenfalls noch nach. Fähnrich und rechter Fahnenbegleiter tragen die Schärpe von der linken Schulter zur rechten Hüfte (Waffe rechts frei zugängig; rechter Begleiter Linkshänder!), der linke Fahnenbegleiter trägt die Schärpe von der rechten Schulter zur linken Hüfte. Meist sind die Schärpen zweifarbig, bei den Trachtenvereinen weiß-grün eingefärbt. (Veteranenvereine weiß-blau, Feuerwehren weiß-rot) Die Farbgebung ist zunächst bei den Veteranenvereinen – nach den bayerischen Farben – nachweisbar, die anderen Ortsvereine haben sich danach in den Grundfarben ihrer Fahnen angeschlossen. Bei mehreren Vereinen werden inzwischen auch aufwendig gestickte Schärpen getragen, die in ihrer Machart an Fahnenbänder erinnern und die Stellung des Fähnrichs und der Fahne besonders hervorheben.

Die Hutschnur ist, wie alle Verschnürungen und Bebänderungen an den Uniformen des 19.Jahrhunderts (Verschnürungen der Husarenuniform, Fangschnur der Adjutanten, Stabsoffiziere) ein Relikt der Fourageleinen der leichten berittenen Truppen. Mit diesen zunächst an der Schulter getragenen Leinen wurden bei den Streifzügen der leichten Kavallerie die Heu- und Strohbündel zusammengebunden und auf ledigen Packpferden ins Lager transportiert. Diese dekorativ aufgeschossenen und kunstvoll verflochtenen Leinen wurden im 19.Jahrhundert ein wichtiges Element an den Uniformen.

Der silberne Ringkragen – Relikt des Kürass/Brustpanzers – als Zeichen des Fahnenträgers ist bei den Trachtenvereinen nicht belegbar, er kann nur bei alten Veteranenvereinen (Gründung vor 1870) belegt werden. Der (schwarze oder braune lederne) Trageriemen für die Fahne, das Bandelier, auch Stiefel oder Fahnenschuh genannt, wird als Tragehilfe gebraucht. Früher gehörten noch weiße Handschuhe zur Ausstattung, bei fast allen Vereinen tauchen sie in der Rechnung der Fahnenstickereien für die Erstausstattung auf. Dabei sind für den Fähnrich schwere weiße Stulpenlederhandschuhe vorgesehen, die Begleiter tragen weiße Stoffhandschuhe. Der Fähnrich trägt stets Volltracht, das Ablegen der Trachtenjoppe ist für ihn und seine Begleiter auch bei heißer Witterung nur in Ausnahmefällen möglich.

Fahnenzeremoniell

Das Fahnenzeremoniell schauten sich die Trachtenvereine bei den anderen Ortsvereinen ab, von Dorf zu Dorf gab und gibt es leichte Varianten; in der Grundordnung geht aber alles auf die Behandlung der Fahnen bei der königlich bayerischen Armee – vor allem der Infanterie – zurück, die jeder Bursch durch seine Wehrdienstzeit üblicherweise kannte.

Die wenigen Regeln waren schnell zu erlernen und wurden von Fähnrich zu Fähnrich weitergegeben.

  • Die Fahne wird grundsätzlich von zwei Burschen begleitet. (Militärische Fahnen werden in aller Welt von zwei jungen, bewaffneten Offizieren in Paradeuniform begleitet) Für sie gelten die gleichen Regeln, wie für den Fähnrich selbst, auch sie tragen die Schärpe und die Hutschnur. Wenn sie die Fahne tragen und begleiten, sind sie als Fahnenabordnung aus der Gesamtheit des Vereins herausgelöst; sie haben nur eine Aufgabe, ihre Fahne zu schützen und auf sie acht zu geben. Es ist ihnen während ihres Dienstes verboten, zu essen oder zu trinken, zu rauchen, sich zu setzen oder zu legen oder sonst etwas zu tun, wodurch ihre Aufmerksamkeit von der Fahne abgelenkt werden könnte. (Eine Begleitung durch „Ehrendamen“, wie in letzter Zeit mehrfach zu sehen, ist nicht vorzusehen; die Fahnenbegleitung hat die überkommene Hauptaufgabe, ihre Fahne unter allen Umständen zu schützen und zu verteidigen, das ist mit Ehrendamen nicht durchführbar; auch der ganz praktische Grund eines Trägerwechsels bei langen Trachtenzügen wäre mit Damenbegleitung nicht machbar.)
  • Die Fahne wird, (wie ihr Vorbild, die Infanteriefahnen der königlich bayerischen Armee), aufrecht im Tragegurt getragen. Hat der Fähnrich sein Ziel erreicht, so nimmt er die Fahne ab, stellt sie an der rechten Schuhspitze ab und hält sie mit der rechten Hand fest. Ein Umklammern mit beiden Händen, ein Abstützen auf die Fahne oder der Wechsel in die linke Hand sind nicht zulässig. Das Tragen der Fahne über der Schulter, wie bei den Fahnen der Gebirgsschützen, ist nicht vorgesehen.
  • In der Kirche: Beim Betreten einer Kirche senkt der Fähnrich die Fahne vor dem Altar (einmal oder dreimal) und grüßt damit das Allerheiligste. Danach geht die gesamte Fahnenabordnung zu ihrem vorgesehenen Platz, die Fahne wird abgenommen und steht auf dem Boden auf. Der Fähnrich nimmt die Fahne ab, stellt sie an der rechten Schuhspitze ab und hält sie mit der rechten Hand fest. Betritt der Priester zum Beginn des Gottesdienstes die Kirche, werden die Fahnen zum Gruß an den Vertreter des Allerhöchsten aufgenommen und solange präsentiert bis der Priester den Altar erreicht hat und die Messe beginnt. Während der heiligen Handlung steht die Fahne abgenommen. Zum Evangelium, bei der Verkündung des Wortes Gottes an die Gemeinde, präsentiert der Fähnrich die Fahne. Bei der Wandlung werden die Fahnen vom Beginn bis zum Ende ohne Unterbrechung voller Ehrerbietung gesenkt. Stimmen Orgel und Chor das Te deum an werden alle Fahnen aufgenommen und präsentiert.
  • Gilt es einen Toten zu ehren, wird die Fahne dreimal über dem offenen Grab geschwenkt. Die Fahnen-Reverenz bei Begräbnissen und Trauerfeiern hat eine bis ins Mittelalter zurückreichende Tradition. Fahnen werden ausschließlich vor dem Herrgott oder vor einem Toten gesenkt, sonst nicht.
  • Beim Spielen einer Nationalhymne werden alle Fahnen präsentiert, die Fahnen werden aufgenommen und in den Tragegurt gestellt, die gesamte Fahnenabordnung bewegt sich nicht mehr bis zum Ende des Abspielens der Hymne. Das Verhalten aller Fahnenabordnungen, gleich welcher Vereine, Verbände oder Organisationen (in allen Staaten) ist dabei immer das Gleiche. Die Bayernhymne ist die Hymne unseres Freistaates Bayern, nicht ein beliebiges geistliches Lied; sie steht damit in einer Linie mit der französischen „Marseillaise“, mit der britischen „God save the queen“ oder der deutschen „Einigkeit und Recht und Freiheit“ und allen anderen Nationalhymnen dieser Welt. Der Text spielt bei einer Hymne keine Rolle, wer könnte schon beim Abspielen einer fremden Nationalhymne erkennen, ob das nun ein Revolutionslied (Frankreich), ein Hymnus an die Schönheit des Landes (Finnland) oder eine Anrufung Gottes (Bayern) ist. Die Ehrerbietung der Fahnen und ihrer Träger gegenüber den Hymnen aller Staaten ist immer die gleiche: die Fahne wird präsentiert. Ebenso ist auch das Verhalten aller anwesenden Personen bei allen Hymnen dieser Welt immer gleich: Männer und Frauen erheben sich vor dem Beginn des Musikstückes von den Sitzen, die Männer nehmen den Hut ab, die Texte der Bayernhymne und Deutschlandlied werden seit einigen Jahren mitgesungen. Nach dem Ende der Hymne wird der Hut wieder aufgesetzt, die Anwesenden setzen sich wieder, die Fahnen werden abgenommen und vom Fähnrich am rechten Fuß abgestellt.
  • Beim Aufeinandertreffen zweier Fahnen, so beim morgendlichen Eintreffen zum Beginn eines Trachtenfestes oder bei einer Veranstaltung von mehreren Vereinen, bei denen Fahnen mitgeführt werden, werden die Fahnen von beiden Fähnrichen zum Fahnengruß, manchmal auch Fahnenkuß genannt, miteinander gekreuzt, so dass sich die Fahnentücher gegenseitig berühren. Fast vergessen ist die Kunst des Fahnenschwingens. Die heutigen schweren gestickten Fahnen und die zahlreichen Bänder, machen es dem Fähnrich fast unmöglich, die Fahne im Fahnenschuh zu drehen und damit den Vereinsmitgliedern und den Zuschauern bei den Trachtenfesten die Fahne in ihrer vollen Schönheit zu zeigen. Auch im Chiemgau war das Fahnenschwingen immer ein gern geübter Brauch. In der Sachranger Chronik zur Fahnenweihe 1950 heißt es: „Beim heftigen Schwenken der Fahne brach dem Fähnrich während des Festzuges die Fahnenstange ab“. Das Fahnenschwingen wurde als Kunst und Ehrerweisung bei allen Fahnen besitzenden Korporationen, gepflegt und im Wettbewerb geübt und wird auch heute noch in vielen Traditionsvereinen (Schweiz, Oberitalien) weiter gepflegt.
  • Schließlich noch das Verhalten beim Passieren der Ehrentribüne bei den großen Trachtenfesten: Die Fahne wird auf keinen Fall gesenkt, sie wird aufrecht im Tragegurt gehalten, dazu kommt dann ein (erkennbarer) Blickwechsel der gesamten Fahnenabordnung zur Ehrentribüne hin, die Fahnenabordnung schaut während des Vorbeiziehens zur Tribüne hin. Die Tribüne hat daraufhin die Fahnen zu grüßen, nicht umgekehrt, die defilierenden Fahnen sind das Symbol für die Gemeinschaft, für die Vereine und mit diesem Gruß der auf der Tribüne Versammelten an die Fahne wird der vorbeiziehende Verein geehrt.

Fahnenweihe

Seit dem 10. Jahrhundert ist die Fahnenweihe durch Textformulare bezeugt, die in Anlehnung an Kriegssegnungs-Ordines, an Ritter- und Schwertsagen verfasst worden waren. Die Grundlage für die Ehrerbietung vor der Fahne ist die Fahnenweihe. Erst die Weihe durch die Hand des Priesters verleiht der Fahne ihre Kraft und ihre Symbolwirkung, eine ungeweihte Fahne ist nur ein Stück buntes Tuch, ohne Kraft und Nimbus. (siehe auch die anderen Arten der „Fahnenweihen“ Berührung mit „geweihten Fahnen“, „Blutfahne“ etc.) Der Segen und der Nimbus der Fahne ist dabei so stark, dass er sich auch auf alle die auswirkt, „die diesem Zeichen folgen“.

Heute hat sich, besonders in Bayern und dem westlichen Österreich, ein spezielles Zeremoniell für die Fahnenweihe mit festgelegten Texten, Gebeten und Gesängen entwickelt.

Bildhaft wird das ungeweihte Tuch von den Festjungfrauen als Täufling zum Altar getragen, das Besprengen mit Weihwasser durch den Priester stellt gleichsam die Taufe dar. Die Fahnenmutter spricht ihren Prolog und heftet ihr Fahnenband als erstes an die Fahne. Die getaufte Fahne wird von der Fahnenmutter – der ersten Person im Leben der Fahne – an die Fahnenbraut weitergegeben. Nun spricht die Fahnenbraut, verspricht der Fahne die Treue zu halten und baut das enge Verhältnis zwischen Fahne und Fahnenbraut auf. Ihr Fahnenband ist das äußere Symbol des Verhältnisses der Braut zu Bräutigam/Fahne. Fahnenmutter und Fahnenbraut zu sein ist ein Ehrenamt im Verein, das nur einmal vergeben werden kann. Zeitlebens bleiben beide besonders eng mit ihrer Fahne (und ebenso mit ihrem Verein) verbunden, stellt diese doch für die beiden gleichsam Kind und Bräutigam dar.

„Der Fahn“, wie er im altbaierischen bildhaft genannt, wird mit begleitenden, sorgenden Worten für das Wohlergehen schließlich von der Fahnenmutter und der Fahnenbraut gemeinsam dem Fähnrich/Fahnenjunker anvertraut und übergeben. Zu seiner Fahne hatte der Fähnrich ein besonders enges Verhältnis. In der Chronik des Niederaschauer Vereins heißt es: „Der Fahnenjunker musste zur damaligen Zeit immer ein Jungherr sein. Wenn er heiratete, wurde ein neuer Fähnrich gewählt“.

Doch nicht nur Mutter und Braut braucht der Fahn, auch einen guten Taufpaten, einen Göd mit einer geweihten Fahne, muss er haben. Aus den Gründerjahren der Trachtenvereine ist bekannt, dass die Vereinsvorstände große Anstrengungen machen mussten, um einen Verein mit geweihter Fahne zu finden, der den Göd machen konnte. So waren einige Staudacher Trachtler 1897 mehrere Tage mit dem Radl unterwegs, bis sie im Oberland den Trachtenverein Penzberg-Stamm als Göd gewinnen konnten.

Der Patenverein übernimmt mit der Patenschaft alle Pflichten, die ein Taufpate gegenüber einem kleinen Kinde übernimmt. Das Verhältnis des kleinen Göds sollte umgekehrt dem eines Kindes zum Taufpaten entsprechen. Für den Patenverein überreicht das Patendirndl ein Patenband an die neue Fahne, umgekehrt erhält auch der große Göd ein Band zur Erinnerung an den Festakt.

Das letzte Band, das bei der Fahnenweihe verliehen und angebracht wird, ist das Trauerband zum Gedenken an die verstorbenen, gefallenen und vermissten Mitglieder der Vereine. Es wird von der Trauermutter übergeben; die Kosten für das Trauerband übernehmen – mit Ausnahme der Landeshauptstadt München – in Bayern die Gemeinden.

Große Veränderungen haben sich in der Vergangenheit bei der Weihe der Fahnen ergeben: in der Vereinschronik des Trachtenvereins „Griabinga“ Hohenaschau heißt es: Da in jener Zeit durch einen Erlass des Erzbistums München-Freising keine Trachtenfahne geweiht werden durfte, musste unsere Fahne im Dom von Salzburg geweiht werden. Diese Fahne begleitete den Verein 80 Jahre lang, bis zum 100jährigen Gründungsfest.

Eine Anfrage an das Archiv des Erzbistums München und Freising ergab jedoch keinen Hinweis auf ein explizites Verbot der Weihe von Trachtenfahnen zwischen 1878 und 1909; am 17. Mai1881 erging jedoch folgender Erlass des Ordinariats über die Gottesdienste bei Gelegenheit von Festen der Veteranen-Vereine und ähnlicher Genossenschaften

Die von Veteranen- und Kriegervereinen, von Feuerwehr- und Turnvereinen, veranstalteten Festlichkeiten haben sich in den letzten Jahren in beachtungswerther Weise vermehrt. Es kann wohl nicht verkannt werden, dass diese gehäuften Feste zum guten Theile in der herrschenden Vergnügungssucht ihre Quelle haben und denselben die willkommene Nahrung zuführen. Verdient diese Erscheinung schon an und für sich die wachsame Aufmerksamkeit der Seelsorger, so wird deren Thätigkeit direct dadurch in Anspruch genommen, dass häufig auch eine gottesdienstliche Feier bei Gelegenheit jener Festlichkeiten erbeten wird. Hier kann es nun leicht dahin kommen, dass die am Vormittag stattfindende kirchliche Feier den Deckmantel bilden muss für die am Nachmittag und Abends gebotene Gelegenheit zu sittlichen Ausschweifungen jeglicher Art. So wird angeordnet, dass die Fahnenweihen unmittelbar nach dem Pfarrgottesdienst stattfinden müssen und sich keine Tanzveranstaltungen anschließen dürfen, eine Feldmesse ist auf keinen Fall zu gestatten.

Auch bei den anderen vor dem ersten Weltkrieg gegründeten Trachtenvereinen ist die Weihe der ersten Fahne in der eigenen Kirchengemeinde die Ausnahme, denn die Geistlichkeit hatte damals für diese neumodischen Trachtenvereine nicht allzuviel übrig. Fast allen wurden bei Feiern im Dom von Salzburg der kirchliche Segen zuteil. In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg und erst recht seit dem Beginn der 50er Jahre, als die meisten Vereine ihre zweiten Fahnen beschafften und weihen ließen, änderte sich das Verhalten der Kirche: die Trachtenbewegung ist als Träger des christlichen Gedankengutes und als treuer Verfechter des Glaubens anerkannt. Die Kirche weiht daher die Fahnen als sichtbare Vereinszeichen und gibt darüber hinaus ihren Segen allen, die diesen Zeichen folgen. Der Segen der Fahne reicht also weiter als nur für das bunte Tuch, wenn der Priester den kirchlichen Segen erteilt hat.

Heute sind Fahnenweihen selten geworden, alle 23 Vereine des Chiemgau-Alpenverbandes haben ihre Fahnen, der Gauverband die Gaustandarte. Die letzten großen Fahnenweihen mit Beteiligung des Chiemgau-Alpenverbandes waren die Weihe der beiden Gaustandarten des Altbayerisch Schwäbischen Gauverbandes und des Inngaues, bei denen der Chiemgau-Alpenverband den Paten machte und die Weihe der neuen Fahne der „Koasawinkla“ Reit im Winkl im Sommer 2001.

Fotos und Bericht: Heinrich Rehberg

 

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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