Leitartikel

Unglaubliche Lesung in Schleching

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Eine ungewöhnliche Geschichte  –  50 Jahre Lug und Betrug   -Schleching – „Vor genau 20 Jahren stand ich hier im gleichen Saal an einem Rednerpult und hielt einen Festvortrag. Damals ging es um die feierliche Einführung eines Buches voller Geschichten und Fotos über Schleching, geschrieben von Altbürgermeister Fritz Irlacher, Helmut Birner und Hartmut Rihl.

Damals war ich 75 Jahre alt. Heute bin ich 95!“  –  So eröffnete Dr. Jan-Bodo Sperling seine überaus spannende und fast nicht zu glaubende Lesung in der Schlechinger Bücherei. Der ehemalige Schlechinger lebt  aus Altersgründen im Wohnstift Marienbad und genau dort begann der Teil seiner Recherche; denn da stand an der Tür eines kleinen Apartments ein Namensschild mit der Aufschrift „Dr. Hans und Annemarie Schneider“, daneben klebte ein Zettel mit der handschriftlichen Aufschrift „Professor Schwerte“.

Dr. Jan-Bodo Sperling erzählte weiter „Dieser Hans Schneider war ein Ex-Nazi. Bei Kriegsende war er SS-Hauptsturmführer im Stab des Kriegsverbrechers Heinrich Himmler, also ein SS-Offizier im Range eines Hauptmanns. Nach dem Krieg verstand er es durch geschickte Fälschungen unterzutauchen, seinen Namen zu ändern (in Hans Schwerte) und an den Universitäten Erlangen und Aachen eine fast 50 Jahre dauernde akademische Laufbahn zu begründen. In Aachen schaffte er sogar eine sehr renommierte Laufbahn, nämlich Doktor, Professor, Universitäts-Rektor, Ehren-Senator und Träger des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse.

Nach 50 Jahren wurde der Namens-Schwindel enttarnt und Professor Schwerte musste nun zu seiner ursprünglichen Existenz als Hans Schneider zurückkehren. Er verlor alles, was er sich als Hans Schwerte erarbeitet hatte: Rang, Vermögen, Ehrungen, Freunde – alles“. Über diesen ungewöhnlichen Fall hat der in Gießen und New York lehrende Politikwissenschaftler Claus Leggewie ein Buch geschrieben mit dem Titel „Von Schneider zu Schwerte. Das ungewöhnliche Leben eines Mannes, der aus der Geschichte lernen wollte“. Aus diesem Buch nun hat Dr. Jan-Bodo Sperling den zahlreichen Gästen in der Schlechinger Bücherei Abschnitte vorgelesen. Er hat die Abschnitte so zusammengestellt, dass die Zuhörer den unglaublichen Lebensweg des Protagonisten –ziemlich fassungslos- verfolgen konnten. Von der „Stunde Null“ direkt nach dem Ende des zweiten Weltkrieges 1945 – wo so vieles neu begann und so vieles beim Alten blieb.

Im Anschluss an die Lesung taten sich viele Fragen bei den Zuhörern auf. Carin Cees fragte „wie Schneider sich das Marienbad leisten konnte, wenn er alles Vermögen verloren hat?“ Dr. Sperling hatte mit der damaligen Leiterin des Marienstift darüber gesprochen, die meinte, dass es damals dort einige Sozialwohnungen gab“. Christine Hell berichtete, dass sie Frau Schneider im Marienstift noch kennengelernt hat, sie hatte ihren Mann um einige Jahre überlebt. Auch Dr. Sperling hatte Schneider in Aachen als „Schwerte“ gekannt, als er selbst an der Universität promoviert hatte.  Carmen Haas fragte, ob sich Schneider selbst geoutet hat?  Dr. Sperling meinte dazu, dass es unklar ist, wie es gelaufen ist. Eine Frage ging um die Motivation des Autors des Buches, wozu Dr. Sperling wusste, dass dieser durch Zufall auf die Geschichte gestoßen ist und dann zwei Jahre lang recherchiert hat. Eine weitere Frage ging um die Tätowierung der Waffen-SS, wozu Dr. Sperling wusste, dass Schneider/Schwerte nach dem Krieg Mitwisser hatte, die ihm die nötigen Papiere und  Doktortitel beschafft haben und ein Arzt, der ihm die Tätowierung entfernt hat, es gab zu der Zeit ein Netzwerk für gegenseitige Hilfe der Ex-Nazis und viele Alt-Nazis wurden in den Staatsdienst –sogar als Richter- übernommen, mangels Alternativen.

Die Zuhörer machten sich noch weitere Gedanken und Dr. Sperling befand „es gibt sicher viele offene Fragen, die wir jetzt mit nach Haus nehmen müssen“.  Er bedankte sich beim Team der Bücherei für die gute Organisation der Lesung.  wun

Foto Uwe Wunderlich , Text Sybilla Wunderlich –  links stehend Dr. Jan Bodo Sperling

 

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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