Nicht ganz traditionsgemäß verlief die Kranzniederlegung am Volkstrauertag in Übersee am Kriegerdenkmal und das Gedenken an die Opfer beider Weltkriege. Wie kurz berichtet, erklangen nach den Reden und dem Lied vom Treuen Kameraden traditionsgemäß die dreimaligen Böllerschüsse der Überseer Schützengesellschaft.
Nicht im Protokoll stand daraufhin die spontane, kurze Rede des evangelischen Pfarrers Rudolf Scheller. Er sei erschüttert, dass auch heute noch Böllerschüsse abgegeben würden, die doch in konträrem Gegensatz zu dem friedlichen Erinnern an die Grausamkeiten des Krieges stünden. Er betonte, dass das nicht die Meinung der evangelischen Kirche sei, sondern seine persönliche. Auch in der evangelischen Kirche hatte zuvor ein Gottesdienst zum Volkstrauertag stattgefunden. Im Gespräch mit unserer Zeitung präzisierte Rudolf Scheller noch mal, dass er lediglich einen Impuls geben wollte, über dieses Thema nachzudenken. Seiner Meinung nach könne man versuchen, ein anderes friedlicheres Symbol zu finden, das nicht so sehr an den Krieg erinnert, zum Beispiel weiße Tauben, die in die Luft fliegen… der Fantasie dazu sind keine Grenzen gesetzt.
Demgegenüber steht die Meinung vieler Bürger und Teilnehmer der Kriegerehrung, die keinesfalls diese Tradition missen wollen. Übersees Bürgermeister Herbert Strauch sagte, die Böllerschüsse seien ein Ehrensalut für die Gefallenen, der einfach dazu gehöre, und Altbürgermeister Peter Stöger meinte am Volkstrauertag, dass viele, oft nicht lange hier wohnende Bürger, dieses Symbol einfach nicht mehr verstünden. Es gehe nicht um Krieg, sondern um die wichtige Aufrechterhaltung der Tradition. Andere Bürger, denen die Berichterstatterin zuhörte, konnten mit den Böllerschüssen nichts anfangen und sagten, sie könnten diesen oft erschreckenden Lärm nicht ausstehen. Alte Leute erinnere es schmerzhaft an den Bombenalarm im Krieg, Kinder und Tiere würden „völlig überflüssig“ manchmal zu Tode erschreckt.
Der evangelische Pfarrer der Nachbargemeinde in Marquartstein, Rainer Maier, kann beide Seiten verstehen. Böllerschüsse seien keine Waffen, sondern müssten polizeilich angemeldet werden. Natürlich könnten unerwartete Schüsse zum Beispiel Kinder, aber auch Erwachsene und Tiere erschrecken. Die Frage sei, „ist das zumutbar?“ In der heutigen Zeit fühlten sich viele Leute oft von vielem gestört, auch von Kirchenglocken. Man könne argumentieren, dass die Böllerschüsse die schreckliche Erinnerung an den Krieg wachriefen, aber natürlich sei auch ein friedlicheres Symbol denkbar. In jedem Fall fand er, wie viele andere Gesprächspartner auch, den Impuls, über das Thema nachzudenken, sehr verdienstvoll von seinem Kollegen. Ähnlich differenziert sieht es Übersees Pfarradministrator Konrad Roider: Einesteils sei es ein ehrenwerter Brauch und Ausdruck der Freude, dass wir in Frieden leben dürfen, andererseits könne auch er sich andere Symbole vorstellen. Auf jeden Fall sei es wert, darüber nachzudenken.
Bericht und Foto: Christiane Giesen – Volkstrauertag in Übersee bei der Kranzniederlegung.