Ukraine- & Nothilfe

Mahnende Pan-Europa-Tage in Stettin

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Die grenzüberschreitenden Paneuropa-Tage im polnischen Stettin und im zu Mecklenburg-Vorpommern gehörenden Greifswald, die die Paneuropa-Union Deutschland gemeinsam mit der Paneuropa-Union Polen veranstaltete, standen ganz im Zeichen einer künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur, der geostrategischen Lage im Ostseeraum und der regionalen Kooperation. Die Gäste kamen nicht nur Deutschland und Polen, sondern auch aus der Ukraine, Frankreich, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Rumänien, Slowenien, Spanien, Litauen und der Tschechischen Republik.

Sie wurden bei der festlichen Eröffnung im Stettiner Radisson Blu Hotel von Damian Greś, dem Direktor für Regionale Zusammenarbeit in der Woiwodschaft Westpommern, willkommen geheißen, der deren Präsidenten Olgierd Geblewicz vertrat. Die Themen Freiheit und Sicherheit in Europa seien aktueller denn je, „und die Geschichte unserer Region ist eine geeignete Grundlage dafür.“ Das ehemalige Herzogtum Pommern sei schon immer europäisch geprägt gewesen: „Anderen Regionen können wir aufgrund unserer Erfahrungen und Ideen ein Beispiel dafür geben, wie man Grenzen überwinden und aufheben kann. Nur wenn wir über alles reden und diskutieren, wird es uns gelingen, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden.“ Beweise der reichen Kultur dieser Landschaft seien sowohl „hier bei uns in Stettin als auch im ausgezeichneten Pommerschen Landesmuseum in Greifswald zu finden, das Sie besuchen werden.“ Das Wissen darüber sei „gut für alle zukunftsweisenden europäischen Entwicklungen.“

Daran knüpfte der Brandenburger Bundestagsabgeordnete Knut Abraham, Präsidiumsmitglied der Paneuropa-Union Deutschland, in seiner Festrede an: „Deutsche und Polen verbinden, aber trennen auch tausend Jahre Nachbarschaft. Die Spuren davon sind überall zu sehen – die ganz furchtbaren, aber auch die, die zeigen, daß unsere Völker viele Jahrhunderte lang eng miteinander verknüpft waren und es heute wieder sind.“ Der langjährige deutsche Gesandte in Warschau, zuvor Referatsleiter für Mittel- und Osteuropa im Bundeskanzleramt, betonte: „Politik in Europa setzt Wissen um Geographie und Geschichte voraus.“ Das Wissen in Deutschland über Polen sei aber katastrophal unterentwickelt, was sich auch auf das Wissen über Mitteleuropa insgesamt ausdehnen lasse. Polen habe immer von Europa „mehr gewollt als nur eine gemeinsame Kasse.“ Sorge vor Identitätsverlust sei nicht automatisch Nationalismus, könne aber von den Nationalisten aller Seiten mißbraucht werden. Abraham sprach sich dafür aus, gemeinsam Fragen zu stellen und daraus sowohl Definitionen als auch Visionen zu folgenden Themen entwickeln: „Was bedeutet Föderalismus in der EU? Welche Rolle hat zukünftig der Nationalstaat?“ Auch diejenigen, die die Nation und den Nationalstaat als zentral betrachteten, sollten dabei auf ein Zusammenwirken in der EU abzielen: „Europa ist kein Platz für Gladiatorenkämpfe der Staaten, bei denen es um Dominanz, Unterliegen und Tricks geht.“ Volksgruppen und Minderheiten dürften nicht als Fünfte Kolonnen diffamiert werden, an ihrer Lage sehe man es aber oft zuerst, wenn der Nationalismus in tiefe Krisen führe. Der Abgeordnete kritisierte, daß die Kinder der deutschen Minderheit in Polen nur eine Schulstunde pro Woche in ihrer Muttersprache hätten, forderte aber auch mehr Polnisch-Unterricht in Deutschland, vor allem in den Nachbarregionen. Außen- und europapolitisch rief Abraham dazu auf, das so genannte Weimarer Dreieck zwischen Deutschland, Polen und Frankreich wieder zu beleben und mit konkreten Inhalten zu füllen.

Der internationale Präsident der Paneuropa-Union, Alain Terrenoire aus Paris, drückte Polen seine „Dankbarkeit für sein menschliches, politisches, militärisches und finanzielles Engagement in Sachen Ukraine“ aus. Nach „15 Monaten eines von Rußland angezettelten Krieges zeigt das polnische Volk durch bedingunglose Unterstützung der Ukraine, die um ihre Identität und Freiheit kämpft, eine außergewöhnliche Solidarität.“ Putin sei „geblendet von seinem revanchistischen Stalinismus und hat daher nicht nur den Mut der Ukrainer, sondern auch die Entschlossenheit der Europäer, sie zu verteidigen, unterschätzt.“ Es sei „unsere Aufgabe, auch Moldau und Georgien, wenn sie darum bitten, bei der Befreiung ihrer von Rußland besetzten Gebiete zu unterstützen.“ Der französische Europapolitiker räumte zwar ein, daß die Europäer die mit dem Ukrainekrieg verbundenen Herausforderungen ohne NATO und USA nicht bewältigen könnten. Darauf dürften sie sich aber nicht ausruhen: „Wir müssen uns endlich mehr um unsere eigene Verteidigung kümmern und unsere externen Abhängigkeiten unbedingt überprüfen.“ Als größte Handelsmacht der Welt könne sich die EU nicht länger vor ihrer weltpolitischen Verantwortung drücken: „Es ist die Zeit gekommen, die der Gründer der Paneuropa-Union, Richard Coudenhove-Kalergi, bereits vor 100 Jahren verkündete, in der es gilt, sich zu versammeln, zu vereinen und zu schützen. Erst dann können wir das mächtige, unabhängige, souveräne und solidarische Europa aufbauen, von dem unser Überleben abhängt.“

Der Präsident der Paneuropa-Union Deutschland, Bernd Posselt, erinnerte an einen seiner Vorgänger, den Adenauer-Minister Hans Joachim von Merkatz, der gebürtiger Pommer gewesen sei und die übernationale Funktion seiner alten Heimat immer wieder hervorgehoben habe. Nach dem Sturz des Kommunismus 1989 habe der Paneuropäer Alfred Gomolka als erster demokratisch gewählter Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern die deutsch-polnische Euregio Pomerania ins Leben gerufen. „Dabei fand er auf der polnischen Seite sensible, mutige und aufgeschlossene Partner.“ Der gebürtige Breslauer sei später als Vizepräsident der Paneuropa-Union Deutschland und Mitglied des Europäischen Parlamentes zu einem Motor des EU-Beitritts sowohl der Baltischen Staaten als auch Polens geworden. Posselt zeigte Parallelen zwischen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Polen und mit der Tschechischen Republik auf. Er kritisierte die „überfallartigen Grenzschließungen“ in der Corona-Zeit als „staatliches Macho-Gehabe, nur um zu demonstrieren, daß man wer ist und alles im Griff hat.“ Die Menschen beidseits der Grenze hätten darauf mit Transparenten reagiert, auf denen stand: „Wir brauchen Euch!“ Dies müsse zur Devise Europas werden, „denn wir brauchen alle einander.“

Posselt berichtete vom erfolgreichen Treffen des tschechischen Premierministers Petr Fiala, der nach dem Sturz des Kommunismus Landesvorsitzender der Paneuropa-Jugend Mähren gewesen sei, und des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, die sich dankenswerterweise gegen die Wiedereinführung stationärer Grenzkontrollen gewandt hätten: „Die darf es auch zwischen dem polnischen und dem deutschen Teil Pommerns nicht wieder geben.“ Als Positivbeispiel deutsch-polnischer Versöhnung erwähnte Posselt das von dem anwesenden Ernst Schröder organisierte Treffen der heimatvertriebenen Kolberger in dieser heute polnischen Stadt, die dabei freundschaftliche Unterstützung leistete. Er rief zudem dazu auf, sich Polens Initiative anzuschließen und „die alte ostpreußische Hauptstadt künftig nicht mehr nach einem stalinistischen Massenmörder ‚Kaliningrad’ zu nennen, sondern wieder die aus dem Mittelalter stammende Bezeichnung ‚Königsberg’ zu nutzen, die auf den böhmischen König Přemysl Otokar II. zurückgeht.“

Der Festakt war von der Präsidentin der Paneuropa-Union Polen, Ewa Maria Goliszek, eröffnet worden. Sie begrüßte, daß der gemeinsame deutsch-polnische Kongreß in zwei Partnerstädten stattfinde, nämlich Stettin und Greifswald. Dafür gebe es außer der Schönheit dieser Orte und der faszinierenden Geschichte drei Hauptgründe: Die Wichtigkeit der grenzüberschreitenden Entwicklung der Metropolregion Stettin für die Schaffung effektiver polnisch-deutscher Kooperationsnetze im politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich sowie in der Raumplanung; die Notwendigkeit, gemeinsam die Zukunft der Euroregion Pomerania zu gestalten, die durch eine nachhaltige Entwicklung des Grenzlandes zur Festigung der EU führen solle, sowie die Bedeutung des einzigartige Vertragsmodells der Euroregion als Wegweiser für eine gute Zusammenarbeit, die neben der politischen und wirtschaftlichen auch die soziale und die kulturelle Sphäre stärke und „Werte wie Frieden, Freiheit und Sicherheit fördert, die in der heutigen Welt so wichtig sind.“

Ewa Maria Goliszek mahnte zudem, „die Abwesenden bei diesem Kongreß nicht zu vergessen“, insbesondere den Präsidenten der Paneuropa-Union Ukraine, Prof. Ihor Zhaloba, „der derzeit an vorderster Front steht und die Unabhängigkeit der Ukraine sowie den Frieden von uns allen verteidigt. Ihor, danke und viele Grüße!“

Das Thema Ukraine trug auch der Bariton Sergiy Ivantschuk in den Abend herein, der unter lebhafter Beteiligung der Teilnehmer Lieder aus seiner Heimat, aber auch aus anderen europäischen Regionen sang. Durch den Abend führte Paneuropa-Bundesgeschäftsführer Johannes Kijas, der die deutsch-polnische Tagung organisiert hatte.

Der politische Teil der „Paneuropa-Tage mündete in ein internationales Symposion in der historischen Universitäts- und Hansestadt Greifswald. Die Europa-Debatte im sonnendurchfluteten Festsaal des Pommerschen Landesmuseums in Greifswald eröffnete der Präsident der Paneuropa-Union Deutschland, der langjährige Europaabgeordnete Bernd Posselt, mit einem Impulsreferat, in dem er dazu aufrief, endlich eine echte Europäische Armee zu begründen, die die nationalen Armeen zwar nicht ersetzt, aber wesentlich ergänzt. Sie müsse über alle drei Waffengattungen – Heer, Luftwaffe und Marine – verfügen und als multinationale Truppe zur Friedenssicherung für den Dienst jedes EU-Bürgers offenstehen. Darüber hinaus sollte, so Posselt, jeder Europäer „das Recht haben, in jedem EU-Land seinen Wehrdienst abzuleisten beziehungsweise als Zeit- oder Berufssoldat zu dienen.“

Zur Förderung des europäischen Bewußtseins schlug der Paneuropa-Präsident vor, eine gemeinsame europäische Militäruniform zu schaffen. Viel wichtiger sei aber eine gemeinschaftliche Produktion und Beschaffung von Rüstungsmaterial, „das Europa auch auf diesem Gebiet endlich unabhängig und eigenständig macht“. Die NATO sei nach wie vor unverzichtbar, müsse aber künftig aus zwei Säulen bestehen, „den Vereinigten Staaten von Amerika und den Vereinigten Staaten von Europa, die es auch in der Außen- und Verteidigungspolitik dringend aufzubauen gilt.“ Sobald es ein Europäisches Marinekommando gebe, solle man überlegen, dieses in Stettin und einer entsprechenden Küstenstadt von Mecklenburg-Vorpommern einzurichten.

Ein zweites Impulsreferat hielt die junge Paneuropa-Vorsitzende der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Anastasija Hazenko. Sie überbrachte die Grüße des ukrainischen Paneuropa-Präsidenten Prof. Ihor Zhaloba, der derzeit an der Front bei der Landesverteidigung eingesetzt ist. Die Europäische Union sei ein Leuchtturm der Freiheit, der Sicherheit und der Rechtsstaatlichkeit: „Für uns bleibt die Einigung Europas von der Ostsee über das Schwarze Meer bis zum Mittelmeer nicht nur ein Ziel, das wir erreichen wollen, sondern ein Traum, den wir ins Leben umsetzen müssen.“ Die Ukraine sei ein europäisches Land, das in den letzten Jahren erhebliche Erfolge bei der Reform der Wirtschaft und der Modernisierung der Infrastruktur erzielt habe. Die Paneuropa-Union spiele eine wichtige Rolle „auf dem Weg zu Freiheit und Stabilität. Krieg bringt Armut und Ungerechtigkeit.“

Zu Beginn des Podiums, das Michael Gahler, Ukraine-Berichterstatter des Europäischen Parlaments und Vizepräsident der Paneuropa-Union Deutschland, gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden der Paneuropa-Jugend Deutschland, Christian Hoferer, leitete, sprach der erste demokratisch gewählte Landtagspräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Rainer Prachtl. Der gläubige Christ bekannte: „Mein politisches Herz hat noch nie so geblutet wie in diesem Krieg, in dem Ukrainer, aber auch junge Russen aus der Armee des Aggressors sterben.“ Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker habe gemeint, daß der geistige Bereich in Deutschland der am meisten vernachlässigte sei, „und ich füge hinzu: in Europa auch.“ Gegen diese Fehlentwicklung kämpfe die Paneuropa-Bewegung seit Jahrzehnten konsequent und energisch an. Es gebe aber noch viel zu tun: „Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern engagieren sich weniger Menschen in demokratischen Parteien als in einer Stadt wie Augsburg, und in meinem Heimatort gibt es nur noch 9 Prozent Christen. Wir brauchen aber die Zehn Gebote und die Bergpredigt, ebenso auch die Arbeiterbewegung.“ Die vielfach herrschende gefährliche Leere lasse sich nur mit begeistertem Einsatz überwinden. Václav Havel habe mit Recht gesagt: „Wir müssen diesem Europa Kathedralen bauen.“

Der Erste Sekretär der Litauischen Botschaft in Berlin, Giedrus Lingė, begrüßte die NATO-Erweiterung im Ostseeraum, wobei dem Beitritt Finnlands noch die bisher von der Türkei blockierte Mitgliedschaft Schwedens folgen müsse. Stockholm habe außerdem derzeit die EU-Ratspräsidentschaft und bemühe sich sehr, die Sicherheit im baltisch-skandinavischen Raum zu festigen. Die Baltischen Länder hätten früher als andere gewußt, was aus Rußland auf die Europäer zukommen werde: „Wir wären glücklich, wenn wir uns geirrt hätten.“ Jetzt gelte es gemeinsam mit anderen in EU und NATO die Idee einer regelbasierten Ordnung gezielt zu verteidigen und für die Zukunft zu stärken. Litauen sei in der Zwischenkriegszeit an der damaligen Frontlinie zwischen Freiheit und Diktatur gelegen und befinde sich heute in einer ähnlichen Situation. Europa könne von diesen Erfahrungen und der daraus entwickelten politischen Kultur lernen. Die paneuropäische Einigkeit sei einer der Grundsteine eines echten Friedens: „Wir haben keine Wahl, als gegenüber der Aggression gegen die Ukraine zusammenzustehen.“

Der stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Europaparlament, Niclas Herbst aus Ratzeburg, vertrat die These, daß die Europapolitik trittsicher den schmalen Grat zwischen Beseeltheit und Entrücktheit gehen müsse. Es sei zwar wahr, daß die Verantwortlichen im EU-Maschinenraum manchmal die europäischen Visionen nicht ausreichend im Blick behielten; auf der anderen Seite vergäßen die Verfechter von Visionen zuweilen, daß diese auch umgesetzt werden müßten. Es sei ein Erfolg des Europaparlamentes, daß im Ringen mit dem Rat die Kürzung der Interreg-Mittel verhindert werden konnte. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Subsidiarität müßten auch durch ausreichende finanzielle Mittel abgesichert werden. Davon profitiere die Euroregion Pomerania ganz erheblich. Herbst meinte einerseits, daß sich insbesondere die Deutschen davor hüten müßten, sich gegenüber anderen Europäern als moralisch überlegen aufzuspielen, bekannte sich andererseits aber zum vom Europaparlament durchgesetzten Rechtsstaatsmechanismus, aufgrund dessen es möglich sei, für Länder, in denen Justiz und Korruptionsbekämpfung nicht funktionierten, Mittel zurückzuhalten. Dies dürfe aber nicht von politischen Bewertungen ausgehen, sondern von unabhängigen Richtern, und müsse der korrekten Verwendung von EU-Geldern dienen, auf die die Steuerzahler Anspruch hätten.

Der ehemalige Bundestags- und Europaabgeordnete Milan Horáček, mährischer Paneuropäer und Mitbegründer der Grünen in Deutschland, betonte, daß er sich immer für inneren und äußeren Frieden eingesetzt habe, aber seit dem sowjetischen Einmarsch in seiner Ursprungsheimat in der Tschechoslowakei 1968 niemals dem in gewissen Kreisen verbreiteten sektiererischen Pazifismus verfallen sei. Dies mache schon der Einsatz für die Menschenrechte notwendig, und wenn internationales Recht gebrochen werde, dann müsse man die Möglichkeit haben, sich zu wehren. Ein von ihm 2005 verfasster Gastkommentar in der FAZ sei dementsprechend unter dem Titel „Gleiches Recht für die Ukraine“ erschienen. Damals habe er sich mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer auseinandersetzen müssen, die zwar die Türkei in die EU aufnehmen wollten, aber nicht die Ukraine. Fehlhaltungen im Westen und das russische Dominanzstreben hätten zum freiheitlich-europäischen Aufbruch auf dem Maidan in Kiew geführt, gegen den jetzt Rußland seinen Krieg entfesselt habe. Trotz aller Schwierigkeiten sei ganz klar: „Wir müssen alles machen, damit die Ukraine so rasch wie möglich Teil der EU wird!“

Der Präsident der Ukrainisch-Deutschen Gesellschaft, Nestor Aksiuk, hob hervor, daß seine Heimat immer ein europäisches Land gewesen sei und zur europäischen Familie zähle. „Aber Europa hat sich der Ukraine als Bollwerk gegen Rußland bedient, ohne dafür entsprechende Verpflichtungen zu übernehmen.“ Diese befinde sich in der Lage „einer Braut, die sich für ihren Bräutigam schmückt, aber jahrzehntelang nicht erhört wird. Die Ukraine ist jedoch europäischer als manches Mitglied der Europäischen Union.“ Aksiuk begrüßte, daß Kiew nunmehr dank Ursula von der Leyen den Kandidatenstatus erreicht habe; „es ist aber schade, daß dies erst durch den Kriegsausbruch möglich wurde.“ Er rief dazu auf, diesen Fortschritt bald mit entsprechenden Verträgen zu untermauern. Der Angriff Rußlands sei kein Krieg, „sondern ein Genozid. Die russische Armee kämpft nicht gegen eine andere Armee, sondern gegen Zivilisten, gegen Kinder und Frauen, und zerstört systematisch Kirchen und ukrainisches Kulturgut.“ Auch er plädierte vehement für eine Vollmitgliedschaft der Ukraine in der EU sowie darüber hinaus in einem europäischen Verteidigungsbündnis und in der NATO.

Prof. Pavo Barišić, internationaler Generalsekretär der Paneuropa-Union und ehemaliger Wissenschaftsminister von Kroatien, bezeichnete seine Fahrt mit seinem aus Bosnien-Herzegowina stammenden Stellvertreter Vanja Gavran nach Stettin und Greifswald als „eine historische Reise“. Zum ersten Mal habe es auf dem Weg von Zagreb an die Ostsee keine Paßkontrollen mehr gegeben, weil seine Heimat endlich Teil des Schengen-Raumes geworden sei; „und auch zwischen Stettin und Greifswald gibt es keine Paßkontrollen mehr. Diesen Erfolg gilt es zu bewahren.“ Von Kroatien an der Adria und Spanien am Eingang des Mittelmeeres bis hin nach Polen und zu den Baltischen Staaten wehe die Flagge der Europäischen Union: „Gerade so hat es vor genau 100 Jahren unser Gründer Coudenhove-Kalergi vorhergesagt.“ Mit dem Kreis aus den zwölf goldenen Sternen auf blauem Hintergrund bezeichne die Europafahne Einheit, Solidarität und Harmonie zwischen den Völkern Europas. Vor 42 Jahren habe er ein Stipendium für die Universität Rostock bekommen und damals, in Ostberlin landend, erlebt, wie alles grau und von Überwachung geprägt gewesen sei. Die Wende sei von der gescheiterten Aggression des sowjetischen Imperialismus auf Afghanistan ausgegangen: „Wird auch der Eroberungskrieg Putins ein ähnliches Ende herbeiführen? Viele Zeichen sprechen für ein derartiges Szenario.“

Der Generalsekretär der Paneuropa-Union Spanien, Prof. Carlos Uriarte Sánchez, skizzierte die Ziele und Vorhaben der EU-Ratspräsidentschaft seines Landes im zweiten Halbjahr 2023. Diese werde von sich radikal verändernden geopolitischen Rahmenbedingungen geprägt sein, „an die wir Europäer uns ständig anpassen müssen, wenn wir relevant sein wollen.“ Die Europäische Union sei als Soft Power geschaffen worden, doch die Welt „entwickelt sich in die entgegengesetzte Richtung, und wir fühlen uns in dieser neuen Situation nicht wohl.“ Die EU werde global mit „unreguliertem, geschlossenem Wettbewerb und harter Macht“ konfrontiert. Darauf müsse man sich vorbereiten „durch strategische Autonomie sowie eine realistische Außen- und Sicherheitspolitik.“ Spanien stehe zum ukrainischen Bemühen, „die von Rußland besetzten Territorien zu befreien“. Madrid werde die EU-Erweiterung auf dem Westbalkan weiterhin unterstützen, die Mittelmeer-Union wiederbeleben  und einen Schwerpunkt auf die Beziehungen mit Lateinamerika und Afrika legen.

Die beiden Podiumsleiter, Michael Gahler und der Bundesvorsitzende der Paneuropa-Jugend Deutschland, Christian Hoferer, setzten während der Debatte ebenfalls wesentliche Akzente. Michael Gahler unterstrich, daß die EU die Ukraine nicht nur unterstützen müsse, sondern von der Zusammenarbeit mit diesem großen europäischen Land und dessen Beitritt auch stark profitieren werde. Die alten Reflexe westlicher Kreise gegenüber Kiew müßten endlich der Vergangenheit angehören und durch bessere Kenntnis überwunden werden. Die ukrainische Regierung nutze inzwischen modernste Technologie in Verwaltung und Wirtschaft, um das Land voranzubringen „und etliche EU-Mitgliedstaaten können davon eine Menge lernen.“ Bisher habe jede Erweiterung für die EU einen innovativen Schub nach sich gezogen, „und das wird in diesem Fall erst recht so sein.“

Christian Hoferer teilte diese Ansicht, warnte aber außerdem vor der Gefahr, sich zu wenig um den EU-Beitritt und die Stabilisierung des westlichen Balkans zu kümmern. Die fünf EU-Mitgliedstaaten, die die Republik Kosovo immer noch nicht anerkannt hätten, müßten dies endlich tun. Hoferer sprach sich energisch für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft mit gemeinsamen Streitkräften aus, da niemand wisse, welche Entwicklung die USA nach den nächsten Präsidentschaftswahlen nehmen werde. Europa könne durch ein gemeinsames Beschaffungswesen große Summen sparen, die dann wieder in eine größere Verteidigungs-Effizienz investiert werden könnten. Er mahnte zudem einen strategischen Dialog über den Vorschlag des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron an, den französischen Atomschirm auf die EU auszudehnen: „Wie das Ergebnis aussieht, kann heute niemand sagen, aber einfach nur totschweigen ist keine Antwort.“

Nach sehr informativen landesgeschichtlichen Führungen durch das Museum, einem Stadtrundgang in Greifswald und vor einem Abendessen in Anklam versammelten sich die Paneuropäer, die in zwei Bussen aus Stettin angereist waren, zu einem evangelischen Gottesdienst im Dom St. Nikolai. In dieser vom Geist der Romantik geprägten, aber viel älteren Hauptkirche von Greifswald verwies Pastor Christoph Ehrich, der langjährige Vorstandsvorsitzende des Pommernkonvents, darauf, daß Demokratie nicht im luftleeren Raum gedeihen könne. Er erwähnte in seiner Predigt das Buch des Soziologen Hartmut Rosa mit dem Titel „Demokratie braucht Religion“. Rosa stelle die Frage: „Was ist die Resonanz unseres Lebens, was bringt unsere Seele zum Klingen?“ Das menschliche Zusammenleben beruhe auf Werten, die nicht politischen Entscheidungen unterworfen sein dürften.

Danach ging es durch leuchtendgelbe Rapsfelder und hochaufragende Windparks nach Anklam, ebenfalls eine mittelalterliche Hansestadt, wo sich die Paneuropäer im Rahmen eines gemütlichen Abendessens begegnen und austauschen konnten, bis die Busse sie nachts nach Stettin zurückbrachten.

Am Sonntag gipfelte die Tagung in einem feierlichen Gottesdienst in der Stettiner Erzkathedrale St. Jakobus, den Pfarrer Grzegorz Jankowiak zelebrierte. Er dankte den Paneuropäern für das gemeinsame Gebet für ein einiges und christliches Europa und erinnerte an den Münchner Journalisten und NS-Gegner Fritz Gerlich, der in Stettin geboren ist und im KZ Dachau ermordet wurde. Jankowiak zeigte den Paneuropäern auch die Erzkathedrale. Er erzählte von der friedlichen und erfolgreichen Missionierung Pommerns 1124 durch den heiligen Bischof Otto von Bamberg, der Volkskirchen gebaut und Kapläne eingesetzt habe, und erläuterte die zahlreichen Seitenkapellen mit modernen Glasfenstern, die verschiedenen Berufsgruppen wie den Seeleuten, den Eisenbahnern oder der Feuerwehr gewidmet sind, sowie die Herzurne des romantischen Komponisten Johann Carl Gottfried Loewe. Manches weist auch auf die erschütternde Geschichte der Stadt im 20. Jahrhundert hin, wie eine liebevoll vielsprachig ausgezeichnete Grabstätte für die in der Ruine der Kirche gefundenen Toten, aber auch das Bild der Muttergottes von Wilna, das die neuen Bewohner aus ihrer alten Heimat mitbrachten. Anderes erinnert an die Funktion der Kirche als Sammeltreff der Widerstandskräfte gegen den Sowjetkommunismus.

Die anschließende Stadtführung übernahm Uwe Burmester vom evangelischen Pommernkonvent, der auch die Vorbereitung der Paneuropa-Tage tatkräftig unterstützt hatte, ebenso wie Manfred Schukat und Friedhelm Schülke vom BdV in Anklam sowie der Paneuropa-Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Knut Splett-Henning. Die Organisation der Tagung lag wie immer bei Bundesgeschäftsführer Johannes Kijas mit seinen unermüdlichen Helfern Jürgen Hecht und Peter Dyroff, die Pressearbeit bei Stephanie Waldburg.

Bericht: Paneuropa-Union

Die Bilder sind von Johannes Kijas (HK), Vanja Gavran (VG), Saranda Musliu (SM) und Herbert Fischer (HF).

– Festliche Eröffnung: Bundesgeschäftsführer Johannes Kijas begrüßt v.r.n.l. Alain Terrenoire, Bernd Posselt, Knut Abraham MdB, Damian Greś, Pavo Barišić und Andreas Raab. (VG)

– Bundesgeschäftsführer Johannes Kijas. (VG)

– Ewa Maria Goliszek, Präsidentin der Paneuropa-Union Polen. (VG)

– Knut Abraham MdB. (VG)

– Alain Terrenoire. (VG)

– Bernd Posselt. (VG)

– Gute Stimmung im Pommern-Museum: v.l.n.r. Christian Hoferer, Bernd Posselt, Pavo Barišić, Alain Terrenoire und Michael Gahler MdEP. (SM)

– Paneuropa-Symposion im Pommerschen Landesmuseum. (VG)

– Anastasija Hazenko, Vorsitzende der Paneuropa-Union Kiew. (HF)

– Paneuropa-Symposion im Pommerschen Landesmuseum v.l.n.r.: Bernd Posselt, Nestor Aksiuk, Pavo Barišić, Rainer Prachtl, Michael Gahler MdEP, Niclas Herbst MdEP, Milan Horáček, Giedrius Lingė und Carlos Uriarte Sánchez. (HK)

– Milan Horáček. (VG)

– Pastor Christoph Ehrich im Greifswalder Dom St. Nikolai. (HK)

– Festlicher Gottesdienst mit Pfarrer Grzegorz Jankowiak in der Stettiner Erzkathedrale St. Jakobus. (HK)

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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