Land- & Forstwirtschaft

Landwirtschaft im Alpenraum – ein Rückzug?

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Landwirtschaft im Alpenraum – Ein Rückzug ohne Ende? – Ein Beitrag aus dem Almbauer vom Almwirtschaftlichen Verein Oberbayern

Sobald die Landwirtschaft im Alpenraum nicht mehr der Selbstversorgung dient, sondern ihr Einkommen durch den Verkauf ihrer Produkte auf dem Markt erwirtschaften muss, ist sie prinzipiell benachteiligt, weil sie zu teuer produziert. Dieser Wandel beginnt um das Jahr 1880 herum, als die erste moderne Agrarkrise Europa erschüttert – der Getreidepreis bricht durch den Import von billigem Getreide aus Übersee zusammen –, und als die jungen Industriestaaten nationale Märkte auch für die Landwirtschaft aufbauen. Seit dieser Zeit erlebt die Landwirtschaft im Alpenraum einen Rückgang, der bis heute nicht beendet ist.

Allerdings gibt es dabei erhebliche Unterschiede in den Alpen: Der arbeitsintensive und wenig ertragreiche Ackerbau im Gebirge ist gegenüber den europäischen Gunstlagen stark benachteiligt, während die arbeitsextensive Viehwirtschaft der Alpen noch längere Zeit mit der der Tiefländer mithalten kann. Die Landwirtschaft in den Altsiedelräumen der Alpen, bei der der Ackerbau eine relevante Bedeutung hat, ist dadurch besonders benachteiligt, zumal sie sehr kleine Betriebsflächen mit starker Parzellierung besitzt und wegen der Eigentumsstrukturen wenig flexibel reagieren kann. Die Landwirtschaft in den Jungsiedelräumen der Alpen, bei der die Viehwirtschaft die dominante Rolle innehat, steht dagegen deutlich besser da, zumal die Flächen der Betriebe hier relativ groß sind, die Höfe flexibel agieren können, in der Regel Waldflächen besitzen und mit dem Wald, der „Sparkasse der Bergbauern“, finanzielle Engpässe überbrücken oder größere Investitionen tätigen können.

Flächenverluste ab 1920 – In einer langen Anfangsphase führt die Abnahme der Zahl der Landwirtschaftsbetriebe zu keinen Flächenstilllegungen, weil die verbleibenden Betriebe alle frei werdenden Nutzflächen sofort übernehmen. Die ersten größeren Flächen fallen erst in den 1920er Jahren brach, aber in den beiden folgenden Jahrzehnten wird dieser Prozess durch die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg wieder gestoppt. Erst ab 1955 beginnt dann – stark vorangetrieben durch den Arbeitskräftemangel im Rahmen des europäischen Wirtschaftswunders – die Aufgabe größerer Nutzflächen, und dieser Prozess hält bis heute an, ohne dass eine Trendwende erkennbar wäre.

Bei dieser Entwicklung markiert die Zeit um 1965 herum eine besondere Zäsur, denn jetzt wird alpenweit der Ackerbau eingestellt. Damit werden große fruchtbare Gebiete in tiefen Lagen zur Nutzung als Wiese frei, weshalb die hoch gelegenen Bergmähder aufgegeben werden können, die in der Regel flächenhaft verbuschen. Die damit verbundenen Veränderungen sind heute überall im Landschaftsbild gut zu erkennen. Da die Definition eines landwirtschaftlichen Betriebs in den Staaten mit Alpenanteil sehr unterschiedlich ist und zudem im Laufe der Zeit mehrfach geändert wurde, gibt es keine Daten über den Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe im Alpenraum zwischen 1880 und heute, aber er dürfte weit über 65% liegen. 1980 gab es alpenweit noch etwa 450 000 Betriebe, 2010 noch knapp 290 000 Betriebe, und diese Zahlen sinken permanent weiter.

Bei der landwirtschaftlichen Nutzfläche gibt es Schätzungen, dass sie seit 1880 um etwa die Hälfte abgenommen hat: Der größte Teil davon ist heute verbuscht, verwaldet oder aufgeforstet, ein kleiner Teil wurde durch Wohngebäude, Gewerbeflächen und Straßen überbaut. Während die traditionelle Landwirtschaft im Alpenraum ein mehr oder weniger kompliziertes Staffelsystem entwickelt hatte, um die unterschiedlichen Höhenlagen angemessen zu nutzen, besteht die moderne Landwirtschaft nur noch aus der Viehweide im Bereich der Almen und der Wiesennutzung im Bereich der Täler; die früheren Zwischenstufen zwischen Berg und Tal sind weggefallen, weil sie zu arbeitsintensiv und zu wenig ertragreich waren. Weiterhin kannte die traditionelle Landwirtschaft sehr unterschiedliche Nutzungsformen, die je nach naturräumlichen Voraussetzungen von sehr arbeitsintensiv bis sehr arbeitsextensiv reichten; auch diese Vielfalt gibt es nicht mehr – eine Fläche wird entweder (intensiv) genutzt oder gar nicht mehr genutzt. Die Kleinräumigkeit der traditionellen Kulturlandschaft mit ihrer ausgeprägten Artenvielfalt geht dadurch verloren.

Galtviehalmen dominieren – Die Nutzung der Almen ist heute dadurch geprägt, dass menschliche Arbeit sehr teuer geworden ist und eingespart werden muss. Dies hat dazu geführt, dass die arbeitsintensive Käseproduktion auf nicht wenigen Almen eingestellt wurde und dass ein Teil der ehemaligen Kuhalmen in Galtviehalmen (Rinder, die noch keine Milch geben) umgewandelt wurde. Die sehr extensive Schafhaltung hatte auf den Almen lange Zeit stark zugenommen, weil dies eine besonders kostengünstige Form der Almwirtschaft war. Seitdem jedoch der Wolf wieder in großen Teilen der Alpen heimisch geworden ist, ist dies nicht mehr möglich, und die Schafherden benötigen Hirten mit Hüte- und Schutzhunden, die sie gegen die Wölfe verteidigen. Ziegen werden dagegen heute nur noch selten auf der Alm gehalten, weil ihr Eigensinn so stark ausgeprägt ist, dass ihre Betreuung viel Zeit erfordert. Auch andere Tiere, die früher auf den Almen anzutreffen waren (Pferde, Ochsen, Stiere, Schweine), sind heute weitgehend verschwunden.

Auch die Art und Weise der Almbewirtschaftung hat sich stark geändert: Früher stand viel Arbeitszeit für die notwendigen Reparatur- und Pflegearbeiten zur Verfügung, was heute nicht mehr bezahlbar ist. Früher betreuten mehrere Hirten eine Herde, heute steht bestenfalls ein einziger Hirte zur Verfügung. Die Tiere konzentrieren sich daher beim Weidegang auf die besten und flachsten Almflächen, meist in der Nähe der Almhütten, und meiden die steileren und abgelegenen Hänge der Alm. Viele Almen sind daher um die Almhütten herum übernutzt, während die übrigen Flächen unternutzt oder gar nicht mehr genutzt werden. Dadurch nimmt die Artenvielfalt auf den Almen spürbar ab und die Verbuschung zu. Um eine Alm heute bewirtschaften zu können, braucht es eine Lkw-taugliche Fahrstraße, auf der die Tiere hinauf oder herab gefahren werden können und auf der der Bauer schnell die Alm erreichen kann. Solche Almstraßen werden häufig kostengünstig gebaut, was mit Umweltschäden verbunden ist, und sie werden dann oft auch zu Freizeitzwecken genutzt, was zu Lärm und Abgasen und zu touristischen Strukturen im Almbereich führt (Zweitwohnungen, „Almdörfer“, „Almhotels“), die im Extremfall die Weidenutzung verdrängen können. Es gibt jedoch heute immer noch zahlreiche Almen, deren Bewirtschaftung sich noch nicht sehr weit von den traditionellen Formen entfernt hat; allerdings muss man solche Almen mühsam suchen.

Mechanisierung im Tal – Die Landwirtschaft in den Talräumen der Alpen besteht heute fast ausschließlich aus Wiesen, auf denen das Heu gewonnen wird, mit dem das Vieh im Winter gefüttert wird. Diese Heugewinnung ist aber ökonomisch nur dann sinnvoll, wenn möglichst häufig Maschinen eingesetzt werden und wenn zugleich der Ertrag stark erhöht wird. Zum Mähen von Wiesen gibt es seit einigen Jahrzehnten eine Reihe von Motormähern, die inzwischen so weiterentwickelt wurden, dass sie auch auf sehr steilen Bergwiesen einsetzbar sind. Das Heuwenden und das Zusammenrechen des Heus in Streifen erfolgt maschinell mit dem Heuwender, und anschließend nimmt der Ladewagen das Heu automatisch auf und fährt es zum Hof, wo es mittels eines Gebläses auf den Heuboden (direkt über den Tieren) verfrachtet und dort notfalls maschinell weiter getrocknet wird. Damit können in der gesamten Produktionskette Maschinen eingesetzt werden. Da ein unruhiges und welliges Mikrorelief, das bei Handarbeit keine Probleme macht, den Einsatz von Maschinen bei der Heugewinnung verunmöglicht, werden zahlreiche hofnahe und ertragreiche Flächen planiert, eingeebnet und anschließend neu – meist mit wenigen standortfremden Arten – eingesät.

Um den Ertrag der Wiesen zu steigern, werden sie gedüngt, u. zw. nicht mehr wie früher nur mit dem hofeigenen Dung, sondern mit gekauftem Kunstdünger. Zusätzlich werden die Wiesen häufiger als früher geschnitten, und seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre setzt sich in vielen Alpenregionen der Silageschnitt durch: Das Gras wird alle drei bis vier Wochen geschnitten, und es wird als frisches, feuchtes Gras sofort in großen Kunststoffballen luftdicht verpackt, wo es zu gären beginnt, was sich auf den Futterwert positiv auswirkt. Diese Silageballen werden dann am Rand der Wiesen in großer Zahl gelagert, bis sie gebraucht und abtransportiert werden. Zusätzlich wird für Kühe und Rinder häufig Kraftfutter zugekauft, weil die heute verwendeten Rassen von Heu alleine nicht mehr leben können und weil nur so hohe Erträge erzielt werden können. Durch den Kauf von Kunstdünger und Kraftfutter ist auch die Landwirtschaft im Alpenraum inzwischen in den globalen Agrarhandel einbezogen.

Kostenschere vergrößert – Obwohl alle diese Modernisierungen den Ertrag der Landwirtschaft im Alpenraum sehr stark gesteigert haben, steht sie ökonomisch nicht gut da: Einerseits kosten die Modernisierungen sehr viel Geld und sind nicht in jedem Fall auch ökonomisch effizient, andererseits produziert die industrialisierte Landwirtschaft in den europäischen Gunstgebieten inzwischen noch sehr viel günstiger als früher, so dass sich die Kostenschere eher vergrößert als verkleinert.

Die betroffenen Bauern in den Alpen halten ihre Wirtschafts- und Lebensform zu Recht für so wichtig und wertvoll, dass sie sie unter fast allen Umständen fortzusetzen versuchen. Zu diesem Zweck verwenden sie oft Einnahmen aus einem Zu- oder Nebenerwerb, um ihre eigene Landwirtschaft zu unterstützen, oder sie nehmen dazu die Einnahmen, die sie aus einem „Urlaub auf dem Bauernhof“ oder aus touristischen Angeboten (Fahrten mit der Pferdekutsche, Ponyreiten usw.) erzielen. Dabei werden sie von EU und Staat unterstützt, deren Agrarförderungen heute oft mehr als die Hälfte der Betriebseinnahmen ausmachen. Auch wenn die Landwirtschaftsflächen inzwischen erheblich kleiner als früher geworden sind und einen Teil ihrer Kleinräumigkeit und Artenvielfalt verloren haben, so sorgt die Fortführung der Landwirtschaft doch dafür, dass die Alpen weiterhin eine offene Landschaft bleiben und die Siedlungen nicht im Wald verschwinden.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors Dr. Werner Bätzing,
Auszug aus „Die Alpen- Das Verschwinden einer Kulturlandschaft“,
erschienen im Verlag wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft)

Fotos: Almwirtschaftlicher Verein Oberbayern

 

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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