Brauchtum

Handwerkskunst: Loisachgau-Trachtenwartinnen unterwegs

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Sticken und Plissieren – ein Besuch bei zwei oberbayerischen Handwerksbetrieben  –  Wie feinste Handwerkskunst aus Garn und Stoff entsteht, durften interessierte Trachtlerinnen aus dem Loisachgau Ende April bei einem Besuch der Fahnenstickerei Jaeschke und der Werkstatt „Plissee is schee“ von Andrea Schatz erleben.

Auf dem Programm des jährlichen Trachtenwartinnen-Ausflugs, zu dem Leni Sappl und Tanja Leitner vom Sachgebiet „Trachtenpflege und Trachtenforschung“ geladen hatten, standen heuer zwei Betriebe, die jeweils noch eine selten gewordene Handwerkskunst beherrschen. Zunächst steuerten die Trachtlerinnen des Loisachgaus die Fahnenstickerei Jaeschke & Zwislsperger in Engelsberg im nördlichen Landkreis Traunstein an. Dort führte Firmenchefin Carmen Zwislsperger durch die 1978 von ihrer Mutter Annemarie Jaeschke gegründete Kunst- und Fahnenstickerei und zeigte den Teilnehmerinnen Schritt für Schritt wie eine neue Fahne entsteht, aber auch wie eine alte Fahne oder sakrale Gewänder restauriert oder konserviert werden können. Bei dem Rundgang durch den traditionellen Handwerksbetrieb, der auch „Textilgestalter im Handwerk im Bereich Stickerei“ ausbildet, konnte man den angestellten Stickerinnen jeweils über die Schulter schauen und Fragen zu den verwendeten Materialien und Sticktechniken stellen. Besonders beeindruckt zeigten sich die Trachtlerinnen sowohl von der handgeführten Maschinenstickerei, bei dem mit einer großen Portion Gefühl die Stichbreite mit einem Hebel während des Nähens eingestellt wird, als auch von der Nadelmalerei, die viel Geduld und Fingerspitzengefühl für die feinen Farbschattierungen von den Stickerinnen erfordert. Bei der interessanten Führung wurde deutlich, dass in den rund 365 Arbeitsstunden für eine neue Fahne auch jede Menge Herzblut steckt. Die Firmenchefin begleitet den Verein von Anfang an persönlich und macht u.a. einen Vorortbesuch für die Motivsuche und stimmt die Motivgestaltung eng mit dem Auftraggeber ab. Schließlich soll der Verein – so Carmen Zwislsperger – am Ende einen „Repräsentationsgegenstand, hinter dem man mit Stolz hergeht“ erhalten.

Nach einem Mittagessen hoch über Wasserburg am Inn fuhr die kleine Gruppe weiter nach Rechtmehring zum Betrieb „Plissee is schee“ von Andrea Schatz, der in einem 300 Jahre alten Bauernhof untergebracht ist. Das Gewölbe der Werkstatt beherbergt einen kostenbaren Schatz an unterschiedlichsten Papierformen mit denen Stoffe kunstvoll in Falten gelegt werden können. Die zickzackförmigen, festen Papierschablonen, die unterschiedlichste Faltenformen und -muster ermöglichen, werden heutzutage nicht mehr hergestellt. Die Harfenistin und Trachtenliebhaberin Andrea Schatz bewahrte die zum Teil über 100 Jahre alten Spezialformen vor der Entsorgung als 2004 eine Münchner Werkstatt aufgelöst wurde und legte damit den Grundstock für ihre eigene Firma. Gekleidet in selbstgenähtem Mieder und selbstverständlich handgemachtem Plisseerock, erklärte uns Andrea Schatz anschaulich wie aus dem glatten, vorgesäumten Stoff aus Mischfasern stehende, konische, liegende oder Keller-Falten entstehen. Dazu wird der Stoff sorgsam in die dampfdurchlässige, diffusionsoffene Papierschablone gelegt, mit Plissiereisen beschwert und dann aufgerollt und bedampft. Je nach Muster arbeitet man dabei am besten zu zweit oder auch zu viert, wenn das Muster besonders aufwändig und kompliziert ist. Die Sorge, dass die Falten nicht Bestand haben, z.B. durch das Tragen an sich oder das Waschen, konnte uns Andrea Schatz nehmen: nach Möglichkeit verwendet man zum Plissieren Mischgewebe, die die Falten wesentlich besser halten als reine Naturfasern. Plissee darf grundsätzlich bei niedriger Temperatur gewaschen werden, ohne die Form zu verlieren. Auch die Sorge der Damen, dass ein Rock mit Plisseefalten „recht aufträgt“, teilt Andrea Schatz nicht, denn Plissee „fällt ganz glatt an der Figur hinunter“. Plissees wurden, so weiß die Stoffkünstlerin, schon bei den alten Ägyptern vor 2000 Jahren getragen, im Mittelalter waren Krägen und Volants beliebt und später fand Plissee auch bei Trachten Verwendung. Mit ihrer Werkstatt lässt Andrea Schatz die alte, kaum mehr ausgeübte Kunst des Plissierens wieder aufleben. Die fein gefalteten Stoffe werden für Tücher, Borten, Blusen, Röcke, Kleider und Kostüme verwendet. Neben den Privatkunden zählt Schatz auch Schneider, Brautmoden, Gardevereine, Designer und Modefirmen weit über Bayern hinaus zu ihren Kunden. Übrigens: auch das Nürnberger Christkind trägt Flügel aus der kleinen Manufaktur! Die Trachtlerinnen des Loisachgaus waren begeistert von der Faltenvielfalt und gingen beinahe alle mit einem handplissierten, zarten Halstüchlein aus der Werkstatt „Plissee is schee“ nach Hause.

Bericht und Bilder: Loisachgau / Johanna Kirschenhofer

Firmenchefin Carmen Zwislsperger (links im Bild) erklärt den Trachtlerinnen des Loisachgaus verschiedene Sticktechniken

Trachtlerinnnen des Loisachgaus besuchen die Kunst- & Fahnenstickerei Jaeschke und Zwislsperger (Firmenchefin Carmen Zwislsperger 4. von rechts)

Andrea Schatz (rechts) zeigt eine Plissierform

 

 

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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