Bad Reichenhall. Dieser Film kann polarisieren oder aber den Blickwinkel auf die Weltsituation verändern. Dokumentarisch deckt „No Other Land“ auf, was im Westjordanland zwischen 2018 und dem 7. Oktober 2023 geschehen ist. Michaela Obermeier, Geschäftsführerin des Katholischen Bildungswerks BGL begrüßte zum Film-Gespräch im Parkkino. Zwar habe sie in der Programmplanung den israelisch-palästinensischen Krieg ausgeklammert, weil das Thema für eine Veranstaltung zu komplex schien.
Eine Ausnahme sei jedoch dieser Film, der zahlreiche Auszeichnungen bekommen hat und getragen sei von der israelisch-palästinensischen Freundschaft der Journalisten Yuval und Basel. „Als wir diese Veranstaltung mit Georg Haigermoser, Religionslehrer und Friedensaktivist in Freilassing und Salzburg, geplant haben, war noch nicht klar, dass der Film 2025 den Oskar als bester Dokumentarfilm bekommen würde. Und mit dem vorgelegten Friedensplan ist er besonders aktuell“, so Obermeier.
Als Gesprächspartner waren Nadine Sayegh, Palästinenserin, Christin, Friedensaktivistin und Buchautorin, sowie William Elgan, jüdischer Israeli, Friedensaktivist und Student der Sozio-Ökonomie, beide aus Wien, anwesend. Sayegh erzählt ihre Familiengeschichte in dem Buch „Orangen aus Jaffa“. Darin geht es um das Leben und die Kultur einer bürgerlichen palästinensischen Familie (ihrer eigenen) kurz vor der Besetzung Palästinas und der Staatsgründung Israels. William Elgan fühlt sich dem Land seiner Eltern verbunden, ist aber Menschenrechtsaktivist, der sich mit der israelischen Politik der Vertreibung und Besatzung nicht abfindet.
Sayegh sagte, sie habe mit dem Film „No Other Land“ einen déjà-vu-Effekt erlebt, denn ihrer Familie sei diese Vertreibung schon 1948 passiert. Ihr Großvater sei mit seiner Familie mit einem Schiff in Beirut gelandet – alles Barvermögen und Schmuck trugen sie am Körper. Durch einen glücklichen Umstand seien sie später nach Wien gekommen. William Elgan erzählte von seinen Erfahrungen und bestätigte, was im Film zu sehen war: „Die Siedler können morden, und die Soldaten schauen zu“. Der Cousin von Basel und einer der Filmemacher wurden ermordet: Der Palästinenser Odeh Hadalin hatte den Moment gefilmt, in dem Yinon Levi auf ihn schoss. Doch dieser Mörder wurde frei gelassen.
Im Gespräch sagte Nadine Sayegh: „Die Schuld vor 80 Jahren wird an zwei Völkern begangen, aber nur eines wird in Schutz genommen. Ich gehe auf dem Weg in meine Arbeit an vielen Stolpersteinen vorbei und denke, ich bin Nadine Sayegh und ich lebe in Wien – das ist ein historischer Fehler“. Auf Grund von schlechtem Gewissen auf Seiten der Europäer habe man einem anderen Volk Unrecht getan und dieses nicht einmal anerkannt. Als junge Frau habe sich Sayegh nicht getraut zu sagen, dass sie Palästinenserin ist. Erst in den letzten Jahren habe sie angefangen, zu ihrer Identität zu stehen. Man gedenke nur der Shoah oder des Holokausts und der Überlebenden, befand sie, aber nicht der Vertreibung der Palästinenser. Ihr Vater sei jetzt 89, er sei sprachlos vor der Reaktion der Welt. „Meine Familie lebte 300 Jahre in Palästina, und ich habe Freunde, die ihre Familie 1.800 Jahre zurückverfolgen können. Wem hat also Gott dieses Land gegeben?“, fragte Nadine Sayegh. Dass die Stadt Gaza planmäßig zerstört wird, sei ein Verbrechen an der Geschichte und an der Kultur. Beide Gäste und auch die Besucher im Parkkino, die sich zahlreich zu Wort meldeten, waren sich einig, dass der Tod jedes unschuldigen Menschen inakzeptabel sei. Aber der massenhafte Tod von Palästinensern werde hingenommen. In der anschließenden Diskussionsrunde tauchten viele weiter Meinungen auf, zum Beispiel dass die Traumatisierung durch den Holokaust immer noch nicht verarbeitet worden sei und dass der Begriff des Antisemitismus neu definiert werden müsse, um Israels Rolle im aktuellen Verhältnis zu Gaza objektiv beurteilen zu können, ohne gleich als Antisemit zu gelten.
Bericht und Bilder: Brigitte Janoschka
Der Film
Im Mittelpunkt der Handlung steht der junge palästinensische Aktivist Basel Adra aus Masafer Yatta, einem Gebiet von kleinen Dörfern südlich von Hebron im Westjordanland. Die Armee der Israelis reißt die Häuser der Palästinenser mit Bulldozern ab, weil sie einem israelischen Truppenübungsplatz weichen sollen. Zusammen mit dem israelischen Journalisten Yuval Abraham und seiner Kollegin Rachel Szor sowie dem palästinensischen Fotografen Hamdan Ballal filmt Basel die Zerstörungen und den Protest der Dorfbewohner dagegen, denen danach nichts anderes übrig bleibt, als in Höhlen zu leben. Auch Gewalttaten israelischer Siedler und der israelischen Armee während eines Zeitraums von 2018 bis kurz vor dem 7. Oktober 2023 werden gezeigt.
„Das ist Gesetz. Dafür soll ich mich schämen?“, sagt ein israelischer Soldat als Antwort auf einen Vorwurf. Und „Du bist in unserem Übungsbereich“. Basils Vater: „Habt ihr keine Ehrfurcht vor Gott?“ Seine Familie lebt dort und ist sehr gastfreundlich. Die Mutter fragt, wohin sie denn gehen sollen und sagt: „Wir haben kein anderes Land“. Diese Äußerung gab dem Film den Titel. „Wir wurden nicht geboren, um in Unterdrückung zu leben. – Sie berauben uns unserer Rechte“. Sogar die Schule – und damit das Recht auf Bildung – fiel den Bulldozern zum Opfer, Brunnen wurden zugeschüttet und die Rohre abgesägt. Wer weggeht, verliert sein Land, sind sich die palästinensischen Bewohner sicher. Aber sie packen ihre Sachen, auch die Schafe, in Umzugswagen und gehen weg.
Fotos: Brigitte Janoschka
1524: Der Palästinenser Basel dokumentiert die Geschehnisse im Westjordanland.
1525: Der Israeli Yuval (Mitte) ist befreundet mit Basel (von hinten)
1531: Alles fällt den Bulldozern der israelischen Armee im Westjordanland zum Opfer, auch die Schule und damit das Recht auf Bildung.
1536: Georg Haigermoser spricht im Park-Kino mit Nadine Sayegh und William Elgan.







