Bei heißen Temperaturen, aber unter Beteiligung vieler Überseer Bürger fand die offizielle Einweihung des neuen „Dr. Virginie Pöller –Weg“s des nördlichen Geh- und Radweges an der Beste Wiese, entlang den Bahngleisen statt. Nach einem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss war die Benennung des Weges auf Antrag von Dr. Martin Metz beschlossen worden.
Im Rahmen eines ganztägigen Tags der offenen Tür und eines Praxisfestes zum 50jährigen Bestehen des heutigen Hausarztzentrums direkt an der Beste Wiese enthüllte Bürgermeister Herbert Strauch am frühen Abend das neue Wegschild und erinnerte an die Leistungen der Landärztin zur damaligen Zeit.
1982 erhielt sie als damals erste Frau die Ehrenbürgerwürde der Gemeinde Übersee.
Vor 85 Jahren, am 1. Juli 1940, hatte Dr. Virginie Pöller ihre Landarztpraxis in Übersee begonnen. Mit kaum 1500 Einwohnern war das Dorf damals klein, vor allem durch landwirtschaftliche Anwesen geprägt, alle Straßen ungeteert. Zur Praxisgründung kam es durch den plötzlichen Tod von Dr. Pöllers Vorgänger und den Krieg. Übersee und das Nachbardorf Grabenstätt standen ohne ärztliche Versorgung da, weil die männlichen Kollegen als Soldaten eingezogen wurden. Anfangs war es als Frau nicht leicht für Dr. Virginie Pöller sich in ihrem Beruf durchzusetzen. Aber schon bald erwarb sich die „Doktorin“ oder „Pöllerin“ wie sie überall genannt wurde, den größtmöglichen Respekt bei den Bürgern von Übersee und Grabenstätt. Verheiratet war sie in Übersee mit einem viel beschäftigten Landwirt, mit dem sie drei Kinder hatte.
Mutige Frau und Ärztin
Die Bevölkerung beider Gemeinden war durch den Zuzug von Evakuierten, Flüchtlingen, Heimatvertriebenen, hier stationiertes militärisches Personal, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in diesen Jahren stark angestiegen. Bei Wind und Wetter, allen Jahreszeiten, ob Tag oder Nacht war Frau Dr. Pöller mit den unterschiedlichsten Transportmitteln zu Patientenbesuchen unterwegs, zum Beispiel dem Pferdeschlitten, einem Pferdewagen, auf Skiern oder mit dem Holzvergaser. Auch ihr Haus stand für Kranke Tag und Nacht offen. Dabei nahm sie selbst tatkräftig, mit großem Geschick und ärztlichem Wissen sämtliche notwendigen Eingriffe vor, leistete Geburtshilfe ebenso wie Sterbehilfe, kleinere Operationen und alles Notwendige bei allen Menschen, die sie brauchten, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Konfession oder Besitzstand.
Viele Leute waren im und nach dem Krieg so arm, so dass die Doktorin nicht mit Bezahlung rechnen konnte. „Wenn Du mal wieder a Kalbei schlachtst, dann bringst ma halt mal a Fleisch vorbei“, sagte sie zum Beispiel mal zu einem Bauern, wie sich Dr. Martin Metz bei der Einweihung in seiner Ansprache erinnerte. Er hatte als junger Arzt jahrelang in der Praxis von Dr. Virginie Pöller mitgearbeitet, bevor er sie nach ihrem Unfalltod 1987 zusammen mit Dr. Sabine von Silva-Tarouca weiterführte. Sie hat heute die Leitung des Hausarztzentrums inne.
Metz erinnerte in seiner Ansprache auch, dass sich Dr. Pöller sehr über die Verleihung der Ehrenbürgerwürde gefreut habe und sagte: „Wenn ich nochmal auf die Welt komme, werde ich wieder Landärztin, aber – nur in Übersee“.
Bericht und Bilder: Christiane Giesen
