Leitartikel

Die „Niggl-Dirndl“ von Pfannstiel bei Frasdorf erinnern sich

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Als die „Niggl-Dirndl“ sind sie in Frasdorf bekannt, die Schwestern Anne und Gretl Hamberger vom „Niggl-Hof“ sind allerdings schon etwas betagt. Mit ihren 95 Jahren beziehungsweise 93 Jahren haben sie natürlich viel erlebt und viel zu erzählen – zum Beispiel aus der Geschichte ihres Heimatdorfes Frasdorf, zu dem der „Niggl-Hof“ im Ort Pfannstiel gehört.

So erinnern sich die beiden Schwestern gerne an ihre ersten Gäste, die auf dem Hof übernachteten. „Das waren Sommerfrischler im Jahr 1933, das war eine Familie von der Schwester unseres Vaters, die in München ein Geschäft hatte. Bis heute haben wir mit dieser Familie freundschaftlichen Kontakt“. In Kriegszeiten beherbergte der Hof Evakuierte und Kinder. „Einmal hatten wir für sechs Wochen einen Buam aus Holland, der hatte in dieser Zeit wegen der vielen Knödel, die es bei uns gab, richtig zugenommen. Von 1934 bis 1936 wurde in Frasdorf die Autobahn gebaut. „Damals hatten wir 14 Arbeiter im Haus, viele waren vom Bayerischen Wald. Für die Übernachtung bekamen wir 50 Pfennig, die Arbeiter selbst erhielten damals für die Stunde 52 Pfennig“. Zum Autobahnbau mussten viele Frasdorfer Bauern Grund abtreten, so auch die Niggl-Familie. „Eineinhalb Tagwerk von unseren insgesamt 45 Tagwerk inklusive Wald gaben wir her, da gab es keine Diskussionen, wer Widerstand geleistet hätte, der hätte mit schweren Konsequenzen rechnen müssen. Man wusste schließlich vom Lager in Dachau, wenn wir auch nicht ahnten, wie tragisch sich dort die Schicksale abspielten und welche Ausmaße das Lager hatte“. Im Zuge des Autobahnbaus gab es dann auch eine Flurbereinigung und Arrondierung, die Bezahlung für den abgetretenen Grund erfolgte – so die „Niggl-Schwestern“ weiter- in der Kriegszeit, als das Geld nichts mehr wert war.  „Wenn der Ausbau der Autobahn kommt, dann verlieren wir wieder viel Grund“ – aus diesem Grunde sind Anna und Gretl Hamberger natürlich nicht begeistert von den aktuellen Plänen.

Die Schwestern schlossen sich nicht dem Bund Deutscher Mädchen (BDM) an,     ebenso wenig wie sich ihr Bruder Sepp nicht der Hitler-Jugend (HJ) anschloss, dazu erinnern sie sich wie folgt: „Wir sind damals nirgends hin, auch nicht als bei der Eröffnung der Autobahn der Führer vorbeifahrend zu sehen gewesen wäre. Wer nicht bei der HJ war, hatte Nachteile, zum Beispiel appellierte der Lehrer an die vaterländische Gesinnung und wer nicht mitmachte, durfte zum Beispiel nicht zur Leibesertüchtigung (Turnen), sondern musste bei den Dirndln in die Handarbeitsstunde“.

Anfang Mai 1945 war Kriegsende, auch in Frasdorf zogen amerikanische Soldaten ein. „Als der Frasdorfer Mesner nach einem Anruf vom Pfraundorfer Mesner an der Kirche die weiße Fahne zum Zeichen der Aufgabe anbrachte, da drohte ihm von den Nazis der Tod. Pfarrer Linsenmann und Toni Weber setzten sich da energisch ein, dass das nicht geschah zumal dem Mesner seine Söhne im Krieg gefallen waren“.  Für ein paar Tage waren in Frasdorf Hunderte von deutschen Soldaten auf einer Wiese nahe dem „Niggl-Hof“ eingepfercht ehe sie zu Fuß über die Autobahn nach Bad Aibling weitermarschierten. „In unserer Werkstatt versteckte sich zu dieser Zeit ein Soldat, der aus seinem Urlaub nicht mehr zu seiner Einheit zurückkehren wollte. Gott sei Dank haben die Amerikaner die Werkstatt nie aufgesucht. In unserem Stall und im Heu wurden kranke Soldaten von Ärzten versorgt. Die Wiese, auf der die Soldaten waren, war niedergetrampelt und da es nach ihrem Weiterzug eine lange Trockenheit gab, gab es dort lange nichts mehr zu ernten“. Für das kaputte Feld bekam der „Niggl-Bauer“ etwas Heu, der versteckte Soldat blieb noch bis zum Morgengrauen des 20. Juli, er war 29 Jahre alt, arbeitete in der Verwaltung, war verheiratet und hatte einen dreijährigen Sohn – so die weitere Entwicklung in Pfannstiel nach Kriegsende.

  Zum Singen in den Kirchenchor und zum Einkaufen nach Rosenheim

Gretl Hamberger war wie auch ihre Schwester Anna Mitglied im Kirchenchor, ansonsten spielte sich das Leben zu Hause ab. Abwechslung gab es nur ein paarmal im Jahr, wenn mit der Bahn von Frasdorf oder mit dem Aschauer Bus über Söllhuben nach Rosenheim gefahren wurde. Anlässe waren ein Termin der Mutter beim Augenarzt, das „Gewand-Einkaufen“ oder einmal mit Bruder Sepp, der später als Bildhauer bekannt geworden ist, ein Besuch des Herbstfestes. Im Krieg wurde der Zugverkehr wegen Bombenabwurfes eingestellt.  Aktuelle Nachrichten gab es in der Regel durch das Radio, dem sogenannten Volksempfänger, Fremd-Sender zu hören war streng verboten und konnte drastische Strafen nach sich ziehen. „Dennoch hat auch unsere Mutter gelost und aufgepasst, dass sie nicht erwischt wird“. Ergänzend zum Thema Radio erzählten Anna und Gretl Hamberger: „Mit dem Krieg kam der Radio, vorher war es abends üblich, dass wir uns in der Stube oder auf der Hausbank zum Singen ausmachten, mit dem Radio hörte das Singen aber auf“.

1937 war in Frasdorf eine Bauernehrung, die der damalige Bürgermeister in brauner Uniform vornahm. „Unser Hof war nicht eingeladen und unsere Mutter war froh, dass sie mit ihren sechs Kindern nicht aufmarschieren musste, der Grund war, dass unser Hof   keine 200 Jahre in derselben Familie war“.

„Lang, lang ist´s her“ – mit diesem Gedanken ziehen sich die „Niggl-Dirndl“ nach dem Gespräch mit Rupert Wörndl, dem Vorsitzenden des Heimat- und Kulturvereins von Frasdorf wieder zurück in ihr Haus. Beide Schwestern blieben unverheiratet und beide versorgen sich auch in ihrem hohen Alter noch selbst. „Wir sind uns gegenseitig eine Stütze und haben uns jeden Tag was zu erzählen“ – so Anna und Gretl Hamberger vom „Niggl-Hof“ in Pfannstiel bei Frasdorf.

Foto/s: Hötzelsperger – 1. Gretl Hamberger (li.) mit ihrer Schwester Anna vor dem „Niggl-Hof“ –  2. …..zusammen mit Rupert Wörndl vom Heimat- und Kulturverein Frasdorf

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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