Leitartikel

Der DRK-Suchdienst endet bald

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Von Heinrich Rehberg – Es ist ein guter Brauch, wenn die Trachtenvereine bei jedem Fest, bei jedem Jahrtag und jedem Jubiläum zuallererst auch an ihre verstorbenen Mitglieder denken. „Wir gedenken der verstorbenen, gefallen und vermissten Mitglieder unseres Vereins“. Eindrucksvoll spricht der Vorstand am örtlichen Kriegerdenkmal, die Fahnen senken sich, die Musik spielt das „Lied vom guten Kameraden“, dazu ertönen drei Schuss Kanonensalut und dann geht es zurück zum geselligen Teil des Tages.

„Vermisste? Gefallene? brauchen wir das Gedenken noch 75 Jahre nach dem Ende des zweiten und über 100 Jahre nach dem Ende des ersten großen Weltkrieges?“ Es waren die jungen Burschen vom Land, die den Großteil der deutschen Soldaten stellten, viele von ihnen waren Mitglieder der gerade aufblühenden Trachtenvereine und ihre Namen sind in den Dörfern noch geläufig. Die Familien sind noch da im Dorf und vielfach wurden die nachgeborenen Buben, die heute zum Teil auch schon auf den 80-er zugehen nach den vermissten und gefallenen Vätern, Brüdern und Onkeln getauft. Rund 1,2 Millionen junge Männer sind seit mehr als 75 Jahren immer noch vermisst, doch in jedem Jahr klärte der DRK-Suchdienst in München Tausende von Schicksalen auf, auch so lange nach dem Krieg.

Doch jetzt heißt es unwiderruflich: „Die Suche nach Kriegsvermissten endet bald“. Ende 2023 wird die vom Bund finanzierte Aufgabe des DRK-Suchdienstes 78 Jahre nach Kriegsende eingestellt werden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es von Millionen Vätern und Söhnen kein Lebens- und kein Todeszeichen. Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes machte sich auf die schwierige Suche nach den Verschollenen der Kriegsschauplätze in ganz Europa. Sie dauert bis heute an, zwei Jahre bleiben den Angehörigen vermisster Soldaten noch, ihre Anfragen an den Suchdienst zu richten, zwei Jahre können die Sachbearbeiterinnen in der Chiemgaustraße in München-Giesing mit Hilfe ihrer umfangreichen Unterlagen noch Auskunft zum Schicksal der Kriegsvermissten geben.

Der Jäger Max Lindner war erst 19 Jahre alt, als er mit der 13. Kompanie des Jägerregiments 204 der 97. Jägerdivision nach Südrußland kam. Er sollte nie in seinen Heimatort Frasdorf zurückkehren. Seine Mutter Emilie suchte vergeblich nach ihm. Alles, was ihr blieb, war ein Gutachten mit dem Ergebnis: Ihr Sohn war wahrscheinlich gefallen – wie so viele mit ihm. „Wenn auf den langen Märschen durch den Schnee jemand liegen blieb, dann blieb der liegen“, sagt Heinrich Rehberg, der ehemalige Leiter des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes in München. Der Suchdienst hat das Gutachten für Max Lindner erstellt – wie für Millionen Andere.

Rund 150000 deutsche Soldaten starben nach Schätzungen des Deutschen Historischen Museums bei Kämpfen im Kessel von Stalingrad oder kamen durch Kälte oder Hunger um. Weitere 91000 gerieten in Kriegsgefangenschaft. Zurück nach Hause kamen nur 6000. „Das war unvorstellbar damals für die Leute, dass keiner von diesen vielen jungen Männern mehr heimkommen wird“, sagt Rehberg. „Aber wenn man sich die Bilder aus Stalingrad anschaut, muss man sich eigentlich eher wundern, dass überhaupt jemand zurückgekommen ist.“ 1955 kamen die letzten Stalingrader wieder nach Deutschland, danach kam niemand mehr. „All die Mütter, die diese Soldaten aufgezogen haben, die hatten eigentlich etwas anderes vor mit ihren Kindern, als sie am Rande von Europa, da, wo Asien beginnt, für eine Ideologie zu opfern.“

Und so suchten Mütter, Väter, Ehefrauen und Kinder – verzweifelt und oft jahrelang – vergeblich; die Suche vererbte sich auf die Nachkommen und dauert bis heute an.

Der Suchdienst half ihnen dabei. „Je teurer uns ein Mensch gewesen ist, umso tiefer würden wir ihn verleugnen, wenn wir uns weigerten, an der letzten und gewaltigsten Erschütterung seines Daseins, so wie sie wirklich war, teilzunehmen“, steht heute an einer Wand im Eingangsbereich der DRK-Suchdienst-Zentrale in München.

Schon 1945 nahm der Dienst seine Arbeit auf und versuchte herauszufinden, wo vermisste Soldaten sich befanden und wer wo in Kriegsgefangenschaft geraten war. Im Jahr 1950 wurden alle Familien aufgerufen, ihre Vermissten zu melden. Plakate mit dem „Aufruf zur Registrierung der Kriegsgefangenen und Vermißten“ hingen überall in Deutschland. Die Anzahl stieg nach der Erfassung zwischen dem 1. und 11. März 1950 auf 2,5 Millionen Vermisste. Der Suchdienst erfasste ihre Namen und Daten, druckte umfassende Bücher mit hunderttausenden Fotografien und legte diese allen Kriegsteilnehmern und Heimkehrern vor mit der Frage: „Hast Du ihn gesehen?“ Sechs Millionen Soldaten und Kriegsteilnehmer des zweiten Weltkriegs wurden so befragt.

Bis heute ist das Schicksal der Hälfte aller deutschen Soldaten in Stalingrad dennoch ungeklärt. „Die sind verdorben und gestorben“, sagt Rehberg und zeigt das Bild eines Leichenberges nach der Schlacht. „Darunter hat niemand mehr nachgeschaut. Wer sollte dort noch jemanden finden?“

Weit über 50 Millionen Karteikarten lagerten bis vor wenigen Jahren in den Archiven des Suchdienstes in München mehr als zwölf Jahre waren notwendig, um sie alle zu digitalisieren. Jetzt können die Sachbearbeiter alle in den letzten 75 Jahren entstandenen Unterlagen am Computer vergleichen, können ähnlich gelagerte Schicksale herbeiholen und können zusätzlich in den Unterlagen aus den Archiven Russlands nachforschen. Die verscannten Karteikarten erzählen auch nach 75 Jahren noch die Lebensgeschichten von Millionen Menschen, darunter allein 300000 Müllers und 300000 Schmidts.

Auch die Geschichte von Unteroffizier Florian Dietz ist dort dokumentiert. Mit Mitte 20 geriet er in Stalingrad in Kriegsgefangenschaft, erst nach fünf Jahren, zu Weihnachten 1948, kehrte er in seinen Heimatort in der Nähe von Bad Aibling zurück. „Das waren dann diese großen Überraschungen“, so Heinrich Rehberg. „Weil die Familie den Heimkehrer meistens gar nicht wiedererkannt hat.“

Heute gibt es noch 1,2 Millionen ungelöste Fälle, sagt Rehberg, darunter zahlreiche aus Stalingrad. Der DRK-Suchdienst hat die Hoffnung, dass in den beiden letzten Jahren noch viele weitere geklärt werden können. Denn in den 1990er Jahren hat der Suchdienst in den Archiven in Moskau einen großen Schatz gefunden. „Plötzlich haben uns die Russen in ihre Bücher schauen lassen, wir erhielten Einblick in die Kriegsgefangenenakten, die vom Beginn der Kriegsgefangenschaft bis zur Entlassung für jeden einzelnen penibel geführt wurden“. So erhielt die Familie des Jägers Josef Stoib aus Lochen erst 60 Jahre nach dem Krieg die Gewissheit, dass der Bruder mit knapp 19 Jahren in Kriegsgefangenschaft geriet, am 28. Juli 1944 im Lager 280 in Stalino verstarb und auf dem Friedhof des Lagers bestattet wurde.

Etwa fünf Millionen Datensätze zu rund drei Millionen deutschen Kriegsgefangenen in Russland kamen auf Datenträgern nach München. Tausende sind schon an die letzten überlebenden Soldaten oder an ihre Familien weitergeleitet worden. Im Alter von über 90 Jahren halten sie den Fragebogen in der Hand, der über sie damals in russischer Gefangenschaft angelegt wurde. „Die Reaktion ist Entsetzen, Freude, alles. Viele sagen, sie könnten nun endlich damit abschließen.“ Das Schicksal von rund 800000 Verschollenen aber, so schätzt Rehberg, wird sich nie mehr aufklären lassen.

Anfragen an den DRK-Suchdienst München, Chiemgaustraße 109, 81549 München, bzw. E-Mail: info@drk-suchdienst.de Telefon: +49 (0)89 / 680 773 – 0, Fax: +49 (0)89 / 680 745 – 92

Bericht und Fotos: Heinrich Rehberg – Unterlagen aus 75 Jahre: über 50 Millionen Karteikarten standen in den Archiven des DRK-Suchdienstes in der Chiemgaustraße in München Giesing. Weit über zehn Jahre brauchte es, bis alle verscannt waren und den Sachbearbeiterinnen jetzt digital zur Verfügung stehen.

Jäger Max Lindner, 19 Jahre alt aus Frasdorf, vermisst als Soldat der 13./Jägerregiment 204 der 97. Jägerdivision in Südrussland

Auszug aus der DRK-Vermisstenbildliste Band CK mit vermissten Soldaten der 13./Jägerregiment 204 der 97. Jägerdivision

Aufruf zur Registrierung der Kriegsgefangenen und Vermissten vom 15. Februar 1950

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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