Kultur

Demokratiewerkstatt arbeitet Vergangenheit der Jugendsiedlung Hochland auf

Was ist uns die Demokratie wert? Wie gehen wir mit Flucht und Vertreibung um? Wie funktioniert Propaganda? Fragen, die so aktuell sind, dass sie direkt aus der gegenwärtigen Krise zu kommen scheinen. Mit genau diesen Themen beschäftigt sich die Demokratiewerkstatt der Jugendbildungsstätte Königsdorf bereits seit ihrer Gründung 2019. An einem sehr geschichtsträchtigen Platz: Schließlich war die Jugendsiedlung Hochland, in der die vom Bezirk geförderte Bildungsstätte steht, ursprünglich ein Zeltlagerplatz der Hitlerjugend und später ein militärisches Ausbildungslager für junge Holocaust-Überlebende.

Für Roland Herzog, seit 2018 einer der beiden Leiter der Jugendsiedlung Hoch­land, stand von Anfang an fest, dass die Geschichte des Ortes in die politische Bildungsarbeit der dortigen Jugendbil­dungsstätte einfließen muss. Er zögerte nicht lange und schob ein entsprechen­des Projekt an, unterstützt aus dem Lea­der-Programm der Europäischen Union. Zwei Jahre lang erstellte der Historiker Thomas Wagner ein Archiv zur wechsel­vollen Geschichte des Geländes, inklusive einer Ausstellung. Zu finden sind darin neben digitalisierten Dokumenten, Bil­dern, O-Tönen von Zeitzeugen und Videos auch originale Exponate wie beispiels­weise eine Geländekarte aus dem Jahr 1950 und rostige Waffen der Hitlerju­gend. Anschließend ging es darum, die vielen Materialien für die pädagogische Arbeit in der Jugendbildungsstätte auf­zubereiten. Damit beauftragt wurde Mi­chael Geigl, Pädagogischer Mitarbeiter der Jugendbildungsstätte, der inzwi­schen eine ganze Reihe von Angeboten auf die Beine gestellt hat – immer ge­meinsam mit Jugendlichen, die sich bei ihrem Aufenthalt mit dem Thema auseinandersetzten.

Wer heute das Gebäude betritt, wird von einem Wandobjekt in Form eines Ein­baums empfangen. Es steht für die Jugendsiedlung im Fluss der Zeit. Mithilfe der App actionbound können dazu Erklä­rungen auf dem Handy abgerufen werden. Zur Demokratiewerkstatt hinauf geht es Stufen, auf denen Schriftzüge auf Demo­kratie und Nachhaltigkeit verweisen. Die Werkstatt selbst präsentiert sich als Aus­stellungs- und Gruppenraum. Neugier weckt ein Zelt – als Symbol für das Zeltla­ger–, vor dem ein Lagerfeuer aufgebaut ist. Die scheinbar harmlosen „Holzscheite“ entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Gewehrläufe und führen direkt hinein in die Geschichte des Geländes.

Roland Herzog möchte damit vor allem Schülerinnen und Schülern ein Angebot machen, sich aktiv mit der Geschichte und der Demokratie auseinanderzusetzen und sie für ein gesellschaftliches und politi­sches Engagement zu begeistern. „Ich denke dabei zum Beispiel an die P- und W-Seminare in der gymnasialen Oberstu­fe, aber auch an Schulklassen, die einen Ausflug planen“, erläutert er. Eigens dafür hat Herzog auch das Konzept für einen „Wandertag Demokratie“ entworfen.

Mit dem Handy aufs Gelände

Zentrales Element ist dabei die Spurensu­che Hochland, die Herzog zusammen mit Michael Geigl erstellt hat und die eben­falls in der App actionbound zu finden ist. Mit ihrer Hilfe können Schulklassen auf einem interaktiven Weg über das Gelände dessen Vergangenheit als antisemitische Erziehungsstätte der Hitlerjugend kennen lernen. Ein anderer in der App aufbereite­ter Weg führt unter dem Titel Spurensuche Königsdorf – Waldram von der Jugendsied­lung Hochland nach Waldram zum Erinne­rungsort Badehaus. Nach dem Krieg lebten dort im Lager Föhrenwald jüdische Dis­placed Persons (DP), von denen etliche in Königsdorf eine militärische Ausbildung der Hagana absolvierten, einer Vorläufer­organisation der israelischen Armee: als Vorbereitung auf den Kampf für ein „freies Palästina“.

Weitere Angebote sollen folgen, wenn die Demokratiewerkstatt nach langer Pan­demie-Zwangspause wieder voll in Betrieb geht. Roland Herzog hofft jedenfalls dar­auf und verweist auf das Programm politisch aktiv der bayerischen Jugendbil­dungsstätten, in dem es heißt: „Demokra­tie ist – wie wir aktuell erleben – keine Selbstverständlichkeit, sondern fragil und gefährdet. Sie ist eine Staats- und zugleich eine Lebensform, die es in einem lebendi­gen Prozess immer wieder neu zu erarbei­ten gilt.“

Kontakt

Bericht und Foto: Bezirk Oberbayern

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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