Gesundheit & Corona

Corona-Tagebuch: Christmette ganz anders

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Von Karl Stankiewitz – Keine nächtlich lockenden Christmetten, kein feierliches Hochamt, keine stimmgewaltigen Chöre, keine lauten Posaunen, nur Orgeln. Der von einem christlich positionierten Politiker verkündete „Lockdown light“ ist wahrlich keine Frohe Botschaft. Er greift tief ein ins religiöse Leben. Die Partitur kommt von der Physik.

Erst im August haben amerikanische Wissenschaftler festgestellt, dass in Raumluftproben, die Patienten mit Covid-Symptomen entnommen wurden, noch in einer Entfernung von fast fünf Metern aktive Erreger-Teilchen messbar sind. Ausgestoßen werden sie von der Lunge mit der menschlichen Stimme oder mit Blechinstrumenten. Übertragen werden sie durch Aerosole – weiter als bisher angenommen. Schützende Abstände sind auch in Kirchenräumen keine Selbstverständlichkeit. Ungeklärt ist nur noch, ob die mit der Luft transportierten Virenpartikel ausreichen, um weitere Personen zu infizieren.

Jedenfalls haben die Kirchen allen Grund zur Vorsicht. Frage: Stört Corona nicht nur die weihnachtliche Stimmung, sondern auch die Liturgie, den Grundstein religiösen Lebens? Vorläufige Antwort; Ja, aber nicht ganz. Der Mann, der einen Weg aus dieser Sackgasse gefunden hat, heißt Rainer Maria Schießler. Und der Ort, wo die Weihnachtsbotschaft alle Hindernisse durchdringt, ist die Maximiliankirche im Münchner Glockenbachviertel. Bis zum 19. Januar noch werden in diesem „Notre Dame an der Isar“ morgens und abends Messfeiern zelebriert, wie sie froher, schöner, inniger kaum sein könnten. Eigentlich wollte der ungewöhnliche Pfarrer Schießler, der Kirche gelegentlich auch aufs Oktoberfest und zu Obdachlosen hinaustrug, in erster Linie den derzeit völlig „freien“, einkommenslosen Künstlern unter den Arm greifen, indem er ihnen bei insgesamt 36 Gottesdiensten ein Podium bietet und einen Opferstock für „musikalische Begleitung“ hinstellt; 700 Euro pro Auftritt sind dank einer Stiftung garantiert, desgleichen ein volles Programm: Volkslieder, Jazz, Experimente, Weltmusik. Zwar sind derzeit keine Konzerte erlaubt, Gottesdienst aber schon.

Einen Höhepunkt erreichte das durchaus trickreiche Programm bei einem Abend mit dem Konstantin Wecker Trio, das noch abrufbar ist. Lieder gegen Angst und Einsamkeit, Lieder für Frieden und Freiheit, wechselten da mit Psalmen und kurzen Predigten. Ungehörte Texte und wunderbare Melodien rührten die Herzen der eingelassenen per Streaming zugeschalteten Menschen:„Mit der Zeit muss alles sterben, aber nicht im Augenblick.“ Im Gespräch mit Schießler, betont bayerisch geführt, knüpfte Wecker – er stellte sich vor als meditativer Kirchenbesucher sowie als „Pazifist und Berufssänger“ – brandaktuell an die Botschaft von Bethlehem an: „Mit den heutigen Rüstungsausgaben ließen sich alle Corona-Schulden bezahlen.“ Für den Heiligen Abend 2020 haben Schießler und sein Pfarrvikar Dr. Michael Shin ein noch ungewöhnlicheres Programm ausgetüftelt: Von 12 bis 24 Uhr gibt es, abwechselnd jede Stunde, Gottesdienst und Musik. Jeder kann kommen und gehen, wann er will. Hundert Stühle werden mit Abständen platziert. Schießler kalkuliert: “Zwölf mal hundert besicher macht 1200.” So viele kamen auch früher zu seinen Christmetten.  Auseinander gezogen wird auch die sonst am Altar postierte Krippe. Eine Dame hat für die 30 lebensgroßen Figuren sogar eigene Schutzmasken genäht.

Siehe Link: https://www.youtube.com/watch?v=nQPT-jA_Sy4&feature=emb_err_woyt

Foto: Pfarrer und Buchautor Schießler

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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