Holger Magel berät und lehrt seit 1987 in China und hat den unaufhaltsamen Aufstieg des Reichs der Mitte zur Weltmacht in vielen Kontakten mit Politikern, Professoren, Beamten, Parteikadern und Studenten mitverfolgen können. Als Summer School Director und Senior Advisor des Ministry of Natural Resources war er 2024 zusammen mit HSS Kurzzeitexperten in den Millionenstädten Hangzhou , Jinan und Peking Augenzeuge eines enorm angewachsenen Selbstbewusstseins der dortigen politischen Führungskräfte und akademischen Elite. Immer noch ist er als Gesprächspartner, Berater oder Vortragender zu Chinaaspekten gefragt. Nachfolgend ein aktuelles Interview mit dem Chefredakteur der Bayerischen Staatszeitung Ralph Schweinfurth /BSZ).
BSZ: Herr Professor Magel, Sie sind langjähriger China-Kenner. US-Präsident Donald Trump will sich offensichtlich mit China anlegen. Was bedeutet das für die bayerische Wirtschaft? Chinas Bruttoinlandsprodukt soll nämlich im laufenden Jahr 2025 um 5 Prozent wachsen. Können bayerische Unternehmen davon profitieren?
HM: Das jetzt schon zu wissen, wäre nobelpreisverdächtig. Ich gehe davon aus, dass in den Chefetagen der deutschen und bayerischen thinktanks und Wirtschaft , ob beim Merics (Mercator Institute for China Studies) oder bei BMW, Audi , Siemens , Allianz, MTU etc und beim Lobbyverband vbw fieberhaft darüber nachgedacht wird. Es geht ja , folgt man einer Studie der vbw vom Dezember 2024 , um viel: immerhin ist China der größte Handelspartner Bayerns und der zweitwichtigste Auslandsstandort für bayerische Investitionen. 700 bayerische Unternehmen sind dort vertreten , davon 100 mit eigenen Produktionslinien . In den wichtigen drei bayerischen Partnerprovinzen Shandong, Sichuan und vor allem Guangdong sind es insgesamt 148. Wenn Trump Deutschland und Bayern in Sippenhaft nimmt bei Erhebung von Strafzöllen gegen China , bedeutet das natürlich nichts Gutes. Ist es vermeidbar? Ich glaube nämlich nicht , dass Chinas Reaktionen gegen die USA die bayerische Wirtschaft mittreffen sollen. Immerhin hat Ministerpräsident Söder bei seinem vorjährigen Chinabesuch ein besonders freundliches Verhältnis zu Chinas MP Li Qiang gepflegt und mit diesem z.B. eine spezielle Partnerschaft im Tourismus vereinbart. Bayern ist das Traumurlaubs- und – reiseland der Chinesen! Wir könnten also im Windschatten des Konflikts segeln , was aber extrem geschickte Diplomatie und Abstand von der groben Rhetorik Amerikas verlangt. Und : wir sollten die nach wie vor legendäre Bedeutung von Franz Josef Strauss in China für Bayern nutzen. Vor 50 Jahren hat Strauss seine inzwischen legendäre Reise nach China gemacht und dort den greisen Staatschef Mao Zedong getroffen. China begeht dieses Jubiläum , Bayern nicht.
Sicher werden die bayerischen Autobauer deshalb nicht mehr Autos verkaufen können , denn da ist die Entwicklung drüber weggegangen. Die Goldenen Jahre der deutschen Autofirmen in China sind vorbei. Vorbei wohl auch die Zeiten , wo die business class der Lufthansa Flüge nach Peking fast allein mit BMW oder Audi Managern ausgebucht war. Ich habe im Vorjahr in Pekings oder Hangzhous Strassen fast nur noch chinesische Autos gesehen. Wenn ich sie nicht gleich als solche entdeckt habe, haben mich meine chinesischen Begleiter leise lächelnd darauf hingewiesen. BMW gibt ja mittlerweile selbst zu, dass das Geschäft und die Gewinne in China spürbar nachlassen. Die bayerischen Unternehmen müssen in anderen Feldern punkten wie z.B. im Ernährungs-, Umwelt- und Medizintechnologiesektor. Immerhin sind in China nun auch Ökosiegel geplant , weil die wohlhabender werdende Bevölkerung auf gesunde Nahrung achtet. Wir wissen aus unserer Zusammenarbeit in der Gemeinde- und Raumentwicklung , dass China einen Riesenbedarf an technologischen Lösungen hat , die es auf dem Weg zu einer sog. Ökozivilisation und einer gleichwertigen Entwicklung von Stadt und Land mit besseren Lebensbedingungen braucht. Hier sollten die bayerischen Wirtschaftsvertreter (endlich) auch den Dialog mit den in China bestens vernetzten Landentwicklern und den Spezialisten für berufliche Bildung suchen. Mit ihnen könnten in der Provinz besser und direkter Kontakte hergestellt und Bedarfe ermittelt werden. Da muss nicht extra ein bayerischer Wirtschaftsminister zum Türe öffnen anreisen. Über unsere Landentwicklungskontakte entstandene Nähe und Vertrauen haben z.B. die beiden oberfränkischen Städte Pegnitz und Betzenstein längst neugierig gemacht auf wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Bayerische Firmen sollten das – im übrigen relativ normale – 5 % Wachstum nutzen , um mitzuhelfen, das nächste große Ziel in China zu erreichen: nach Überwindung der Armut nämlich einen angemessenen Wohlstand für alle , wie Xi Jinping es seit Jahren in all seinen Reden und Büchern verspricht .Dieser Wohlstand findet in den Provinzen , Städten , Kreisen und Dörfern statt. Hier muss aquiriert werden – die großen Stückzahlen mögen da nicht so imponierend sein. Wir sollten aber die Chancen ergreifen , die das im Januar 2025 verkündete neue 4 jährige Programm des Staatsrats für die „Umfassende Revitalisierung des ländlichen Raumes“ mit riesigen Infrastruktur – und Umweltmassnahmen bietet.
BSZ: Die Chinesen ihrerseits haben verlauten lassen, bis zum Ende kämpfen zu wollen. Liegt darin eine Chance für Europa, wenn sich USA und China wirtschaftspolitisch bekriegen?
HM: Nochmals: wir müssen versuchen , uns aus dieser u.U. lang anhaltenden Auseinandersetzung herauszuhalten. Die langfristig und strategisch denkenden Chinesen haben sich sicher darauf vorbereitet, was heißen soll, dass der Kampf wirklich lange gehen kann. Sie haben ja bisher ziemlich china-like relativ verhalten auf Trumps Zölle reagiert. Mit schwant , da kommt mit langen Atem mehr. Unsere Loyalität zu USA ist jetzt jäh zerbrochen , Europa muss sich allein aufstellen und gleichwohl auf beiden Seiten in Handelsbeziehungen bleiben. China ist kein einfacher Partner ; seine Unterstützung von Putins Angriffskrieg in der Ukraine mag uns an dem angeblichen Land des Ausgleichs und Friedens (Chinas für uns eigenartige Eigenwahrnehmung zeigte Ministerpräsident Li Qiang neuerlich in seiner Regierungserklärung vom 5. März 2025: „China made important contributions to peace and development in the world“ ) zweifeln lassen, natürlich auch der unverhohlene und von den USA schon länger bekämpfte Griff nach der wirtschaftlichen Weltmacht (Das läuft unter dem von allen Chinesen begeistert mitgetragenen Mantra „Renaissance der großen chinesischen Nation“) ; hinzu kommt der Umgang mit Dissidenten, Minderheiten, Cyberkriminalität , Standards , Coronaaufklärung und vieles mehr. Aber wir können nicht alles nach unseren Maßstäben bewerten, auch Indien hat seine Mängel , der Nahe Osten sowieso, und in Afrika herrscht überhaupt keine besondere Europafreundlichkeit , was sich auch in der fehlenden Unterstützung beim Ukrainekonflikt gezeigt hat.
China ist nicht unser Traumpartner
Was ich nach fast 40 Jahren Erfahrung sagen will : China ist nicht unser Traum – oder gar Liebespartner , aber ein weitgehend verläßlicher und nicht disruptiv agierender Partner , den man in Zeiten wie diesen letztlich braucht und akzeptiert mit all seinen Ecken und Kanten. Dazu gehört für mich , dass man natürlich von den Chinesen faire Wettbewerbsbedingungen einfordern muß, sie aber nicht immer und überall mit der Menschenrechtsfrage öffentlich überfällt und nervt, denn das bleibt , wie wir wissen ,ohnehin ohne Wirkung. Ich bin diesbezüglich zu der Einsicht gekommen ,dass man das , wenn überhaupt ,erst im Laufe einer bewährten vertrauensvollen Partnerschaft und bei gemeinsamen Projekten besprechen und umsetzen kann. Stichwort Breite Bürgerbeteiligung bei der Dorfentwicklung! Die wird in China immer mehr Praxis!
BSZ: KI, Weltraumfahrt, der Passagierjet Comac C919 – China hat technologisch stark aufgeholt und europäische Unternehmen teils überholt. Wie muss Bayerns Forschungslandschaft darauf reagieren?
HM: Dazu eine kurze Antwort : indem wir weiter mit China kooperieren und von China ggfls lernen, warum es so erfolgreich ist, vor allem so schnell. Nur alles auf die autokratische Struktur zu schieben , ist mir zu wenig. Bei uns dauert ja alles so lange , der Weg von der Erfindung zur Umsetzung ist das deutsche Problem. Es ist schon beeindruckend , dass im Vorjahr China 10% seines BIP mit dem Ausbau erneuerbarer Energien erwirtschaftet hat. Seine massenhaft angefertigten PV Module werden immer billiger und damit auch unsere Energiewende . China scheint nun die zuverlässigste Großmacht zu werden beim Ausstieg aus den fossilen Energien. Das frühere Lehrer -Schüler – Verhältnis hat sich längst gewandelt zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe und zwar nicht nur im technologischen , vor allem KI Bereich, wo China Milliarden investiert und nun sogar mit DeepSeek die USA TechGiganten düpiert hat ,sondern auch im planerisch-strategischen Bereich der Raum – und Landentwicklung. Und wenn es nötig ist, wird halt das deutsche System der Zentralen Orte oder das bayerische Modell der Räumlichen Gerechtigkeit von Magel/Miosga kopiert und in chinesisches Xi Jinping Denken integriert. Das hat mir der oberste Landentwicklungsbeamte Chinas im Vorjahr gesagt: „Herr Magel , wir haben viel von Ihnen und anderen bayerischen Experten gelernt. Aber jetzt sind wir auf Augenhöhe. Nun wollen wir mit unserer Weisheit die Welt gestalten, z.B. in Afrika.“ Wir Deutsche sollten uns daran beteiligen , denn sonst sind wir in diesem Kontinent chancenlos.
TU München ist sehr chinaoffen
Die TUM hat m.E. das richtige getan , nachdem sie ja tausende chinesische Studenten anzieht und immer mehr chinesische Professoren beruft : sie hat ein eigenes „Hauptstadtbüro“ in Peking und pflegt eine intensive Forschungs- und Dialogkooperation mit chinesischen Flagshipuniversitäten, die – hoffentlich nicht spionieren , sondern – ehrliche Partner sind , auf die , inzwischen gute Kollegen geworden, man sich im Konfliktfall verlassen kann. Selbstredend bieten diese Unikooperationen z.B. im Healthcare Sektor oder in der Biopharmazie Andockmöglichkeiten für bayerische Unternehmen! Vielleicht schaffen auch wir es , dass sich nicht nur Xi Jinping und sein Kabinett , sondern die gesamte deutsche Staatsspitze in einer deutschen „Großen Halle des Volkes“ alljährlich mit Spitzenwissenschaftlern und erlesenen Akademiemitgliedern ihres Landes unterhält und sie zu Höchstleistungen bei der wissenschaftlich-technologischen Modernisierung und Innovation anspornt , “weil sie für die Modernisierung und nachhaltige Entwicklung des Landes“ essentiell sind.
BSZ: Wie geht man am besten mit den Chinesen um?
HM: Darüber könnte ich nach unzähligen Besuchen , vielen berührenden Begegnungen ,Ehrungen und Erfolgen ein Buch schreiben. Sehr klar ausgedrückt:
Nicht rumdrucksen, sondern aufrecht und gerade mit den Chinesen umgehen , auch nicht über den Tisch ziehen lassen und sagen , wenn etwas nicht passt oder gar unmöglich ist. Andererseits z.B. auch den unglaublichen Aufstieg des einst von Europa und Deutschland gedemütigten Chinas vom Entwicklungsland zur Großmacht anerkennen. Man muss ja nicht gleich den Slogan „Make China Great Again“ bejubeln. Offen darf und soll man auch ansprechen , wo Defizite und Verbesserungsmöglich-keiten gesehen werden und wo es Differenzen im Denken und in den Systemen gibt. Aber bitte nicht Missionar oder Erzieher spielen und von unseren besseren ethischen Werten und unserer freieren demokratischen Gesellschaft reden. Die chinesische Jugend geniesst das chinesische System , weil es ihr bisher immer größeren Wohlstand und Mobilität garantierte ! Wir müssen da nichts ändern wollen oder Überzeugungsarbeit leisten.
BSZ: Worauf blicken Sie nach fast 40 Jahren Chinaberatung besonders stolz zurück?
HM: Dass es gelungen ist , zusammen mit der HSS und Experten der Bayerischen Verwaltung für Ländliche Entwicklung aus dem noch von Franz Josef Strauß angestoßenen Dorf – und Landentwicklungspionierprojekt Nan Zhang Lou in Bayerns erster Partnerprovinz Shandong eine grandiose Erfolgsgeschichte in ganz China zu schreiben , die in Bayern viel zu wenig bekannt ist. Höhepunkt dieser tatsächlich in wachsendem Vertrauen gestalteten Partnerschaft und des gegenseitigen fachlichen Austausches über drei Jahrzehnte hinweg sind die im Dezember 2024 vom Ministry of Natural Resources erlassenen „Leitlinien Integrierte Flurneuordnung und Umsetzung eines umfassenden territorialen Landmanagements“ sowie das bereits erwähnte Dekret des Staatsrats zur umfassenden Revitalisierung des ländlichen Raumes , in dem immer noch rund 500 Millionen Chinesen leben. Diese von uns maßgeblich beeinflußten Programme werden zusammen mit dem auch von Bayern zumindest tlw. übernommenen dualen Bildungssystem den Menschen helfen , ein würdigeres und nachhaltigeres Leben zu führen und neue Kaufkraft in die Dörfer und Landstädte zu bringen. Das offizielle China würdigt sehr wohl den großen Einsatz bayerischer Partner bei dieser Entwicklung. Die Bayerische Staatsregierung sollte deshalb weiterhin den Dialog zur Ländlichen Entwicklung wie auch zur beruflichen Bildung aktiv unterstützen und nicht nur wirtschaftliche Partnerschaften.
Und wenn ich zwischendurch an Chinas Haltung in Weltkonflikten verzweifle , gehe ich in den Münchner Finanzgarten zur Konfuzius Statue, dem Geschenk der Provinz Shandong . Dann denke ich mir : die chinesische Politik und krisenerprobte Diplomatie (gerade sehr erfolgreich gewesen beim Kaschmir Konflikt mit Indien) werden hoffentlich die Weisheit dieses überragenden Mannes nicht vergessen und weiter beherzigen.Diese Konfuzius Weisheit kann übrigens auch der bayerischen Politik nicht schaden….
Interview und Bildmaterial: BSZ / Prof. Holger Magel