Bürgerbus: Mobil von A(iglsham) bis Z(acking) – Bürgerbus Chiemsee fährt seit über 22 Jahren nur dank Ehrenamtlicher und braucht Verstärkung.
„Es ist doch genial, durch so eine schöne Landschaft zu fahren.“ Schon oft saß Nikola Bichler am Steuer des Bürgerbusses Chiemsee (BBC), aber an ihrer Heimat kann sie sich nicht satt sehen. Die Pittenharterin wurde bei der jüngsten Versammlung des Bürgerbus-Teams für über 300 Einsätze mit Applaus und einem Geschenkkorb geehrt. „Krass, damit habe ich nicht gerechnet“, ist sie selbst von der großen Zahl überrascht.
Bichler und knapp 20 andere Frauen und Männer sorgen mit ihrem ehrenamtlichen Engagement dafür, dass der BBC mit der Liniennummer 9480 montags bis freitags das ganze Jahr über Menschen dort abholt, wo sonst kaum ein Bus hält. Ein Linienbus, der ausschließlich von Ehrenamtlichen gesteuert wird – das ist in Oberbayern einmalig. In der Hauptsache besteht die BBC-Mannschaft aus agilen Rentnern, die ein- bis zweimal im Monat eine Halbtagesschicht übernehmen. Jeder fährt, wann er kann und mag, individuelle Wünsche berücksichtigt Nikola Bichler im monatlichen Dienstplan, um den sie sich seit gut einem Jahr zusätzlich kümmert.
Zum letzten Mal stand jetzt Theo Mayerhöfer drin und hat zum Ende seiner Fahrzeit noch die 200er-Marke an Einsätzen durchbrochen. Nach zehn Jahren hört er als Bürgerbusfahrer auf, mit 81 Jahren sei es an der Zeit, findet er. Mobilität hat in Mayerhöfers Leben immer eine zentrale Rolle gespielt, er war Hubschrauberpilot bei der Polizei und fast drei Jahrzehnte Vorsitzender eines Ballonfahrervereins. Als seine Frau 2015 in der Zeitung las, dass Bürgerbusfahrer gesucht werden, meinte sie: „Das wär doch was für Dich“, erinnert sich der Truchtlachinger daran, wie er zu seinem Ehrenamt kam.
Auch Bichler wurde durch einen Artikel auf die besondere Buslinie aufmerksam. Das war vor über 20 Jahren. Der BBC ging im März 2003 in Betrieb. Anfangs fuhr Bichler nur Vormittagsschichten, wenn die beiden Kinder in der Schule waren. Die sind inzwischen erwachsen, deshalb kann die 61-jährige, selbstständige Biologin heute auch die Nachmittagstouren übernehmen, die um 13.15 Uhr in Amerang beginnen. Am Wertstoffhof, wo der Neunsitzer mit automatisch öffnender Seitentür und Automatikgetriebe auch seine Garage hat, ist Schichtwechsel. Ab 8.25 Uhr ist der Bürgerbus montags bis freitags nördlich des Chiemsees unterwegs.
Die zehn Gemeinden, auf die die 60 Haltestellen verteilt sind (Amerang, Obing, Pittenhart, Seeon-Seebruck, Eggstätt, Bad Endorf, Gstadt, Breitbrunn, Rimsting und Prien) tragen ebenso einen Teil der Kosten wie die Landkreise Rosenheim und Traunstein. So ist es möglich, dass der Fahrpreis höchstens 1,50 Euro beträgt, von einer Gemeinde in die nächste sogar nur einen Euro. Das nutzt auch schonmal der ein oder andere Tourist, um sich bei einer kompletten Runde die Gegend anzuschauen, erzählt Bichler schmunzelnd. Seit das Deutschland-Ticket gilt, ist die Zahl der Fahrgäste nochmal gestiegen, berichtet Mayerhöfer.
Er schätzt, dass annähernd die Hälfte der jährlich rund 6000 Passagiere Stammgäste sind, die den BBC nutzen, um zur Arbeit, zum nächsten Bahnhof, in den Nachbarort zum Einkaufen, zum Arzt oder zum Lieblings-Badesee zu kommen. 90000 Kilometer rollt der Bürgerbus jedes Jahr über die Straßen, an jedem Einsatztag fast 400 in zwei Schichten, weiß Hans Zagler, lange Jahre als Geschäftsführer der Rosenheimer Verkehrsgesellschaft (RoVG) im Landratsamt Rosenheim verantwortlich für den Bürgerbus. Inzwischen ist er im Ruhestand und fährt selbst ehrenamtlich. Die RoVG wurde im Zuge der Umstrukturierungen im ÖPNV inzwischen aufgelöst.
Der Bürgerbus dagegen rollt weiter. „Auf euch ist eben Verlass“, sagt ein Fahrgast, als er in Obing mit seinen Einkaufstaschen einsteigt, um in sein kleines Heimatdorf nahe Amerang zurückzukommen. „Das tut gut“, freut sich Mayerhöfer über das Lob. Auch ein kleines Trinkgeld drückt ihm de ein oder andere Passagier schon mal in die Hand – das ist bei dem günstigen Fahrpreis drin.
Auch Bichler motiviert jedes Dankeswort selbst nach über 300 Einsätzen immer wieder, erzählt sie. Sie kennt jede Kurve und jede auch noch so versteckte Haltestelle auf ihrer gut 170 Kilometer langen Nachmittagstour. Der Fahrplan der Linie 9480 hängt überall aus. „Wenn jemand winkt, halt ich an“, lacht die 61-Jährige. Immer wieder huscht der Blick zwischendurch auf den Fahrplan, denn auf Pünktlichkeit legt das ganze Bürgerbus-Team großen Wert. An ihren Lieblingsstellen nimmt sie aber schon mal den Fuß vom Gas und genießt ganz kurz die Natur vor der Windschutzscheibe. „Manchmal muss ich auch ein bisschen trödeln“, sagt sie augenzwinkernd.
Bichler wird noch länger Bürgerbus fahren, für Mayerhöfer dagegen ist nach gut 200 Einsätzen altersbedingt Schluss. „Mit 70 hab ich noch zwei Stufen gleichzeitig genommen, heute sind es zwei Tabletten gleichzeitig“, erklärt der 81-Jährige fröhlich. Für ihn und andere Ehemalige, die nicht mehr am Steuer sitzen, braucht das Bürgerbus-Team nun Ersatz.
Zur Bürgerbus-Historie
Im Jahr 2000 gab es in der Chiemseeregion eine starke Agenda 21-Bewegung, mit allein drei Arbeitskreisen zum Thema ÖPNV. Dieses Engagement nutzten die Verantwortlichen, um den Bürgerbus Chiemsee mit vielen Freiwilligen aus der Taufe zu heben. Denn über die Landkreisgrenzen zwischen Rosenheim und Traunstein hinweg gibt es bis heute kaum andere, regelmäßige Busverbindungen. In manchen Dörfern entlang der täglichen Bürgerbusroute halten sonst nur Schulbusse. Wer kein Auto hat oder selbst fahren kann, kommt allein nicht vom Fleck.
Zur Fahrersuche:
Damit der Bürgerbus Chiemsee weiter jeden Montag bis Freitag 60 Haltestellen bedienen kann, braucht es dringend neue Fahrerinnen und Fahrer, denn immer wieder scheiden Aktive altersbedingt aus. Wer Interesse hat, ehrenamtlich ein- bis zweimal im Monat am Steuer des Automatik-Kleinbusses zu sitzen, kann sich unverbindlich bei Organisator Norbert Gradmann unter Telefon 0160/8410356 oder per Mail an norbert.gradmann@t-online melden. Der normale Pkw-Führerschein genügt, die Kosten für einen Gesundheits-Check (als Voraussetzung für den nötigen Personen-Beförderungsschein) werden natürlich erstattet.
Bericht und Fotos: Bürgerbus Chiemsee – Über 300-mal saß Nikola Bichler schon ehrenamtlich am Steuer des Bürgerbusses Chiemsee.
– Schichtwechsel mittags in Amerang: Hans Zagler (rechts) übergibt den Bürgerbus-Schlüssel an Theo Mayerhöfer, der den Neunsitzer schon über 200-mal unfallfrei durch den Chiemgau gesteuert hat.