Ukraine- & Nothilfe

Buchtipp: Serhij Zhadan, Keiner wird um etwas bitten

Veröffentlicht von Günther Freund

Kurze Geschichten über die Allgegenwart des Krieges im ukrainischen Charkiw.

Arabesken nennt der Autor seine zwölf lose verbundenen, oft auch recht traurigen Geschichten vom russischen Angriffskrieg auf seine Heimatstadt. Es sind Erzählungen vom Überleben in einem Zustand ständiger Bedrohung, die viel mehr die Auswirkungen des Krieges auf die Menschen behandeln als den Krieg selbst. Es geht um die Geliebte eines getöteten Soldaten, um die Jobsuche eines Menschen, der als Invalide von der Front zurückgekommen ist, um Personen, die an der Trauerfeier für einen gefallenen Kollegen teilnehmen, um die Evakuierung einer alten Frau nach der Bombardierung eines Wohngebiets oder um Handykontakte, die gelöscht werden müssen, weil ihre Besitzer im Krieg gefallen sind. Die zweitgrößte Stadt des Landes nach Kiew ist ständig Ziel russischer Angriffe, darunter Drohnen- und Raketenbeschuss. Zivilisten und zivile Infrastruktur werden häufig getroffen, was zu zahlreichen Verletzten und Todesopfern führt. Seit Monaten fahren in der Stadt keine Straßenbahnen mehr, die Ampeln funktionieren nicht. Viele Häuser stehen leer, beängstigend ist die Stille – keine Stimmen, keine Bewegung; nur am Morgen ist der Gesang der Vögel zu vernehmen und die Soldaten an den Straßensperren fallen besonders ins Auge. Die Menschen treffen sich auf dem Fußballplatz oder in der Kirche, sprechen über ihre zerbrochenen Vorstellungen von Alltag, den veränderten Atem der Stadt und lassen dennoch immer wieder ein kleines Zeichen der Hoffnung aufblitzen.

Serhij Zhadan, der in Charkiw lebt und seit Mai 2024 Soldat ist, beschreibt den Krieg nicht direkt, dafür dessen Folgen für die Personen, die von ihm betroffen sind. In seinen kurzen Geschichten zeichnet der Autor ein eindrückliches Bild der radikalen Veränderung der Lebensumstände der Menschen um ihn herum und macht eindrucksvoll deutlich, was der Krieg für jene bedeutet, die sich an die allgegenwärtige Präsenz des Todes gewöhnt haben. Eine Lektüre, die einen bleibenden Eindruck hinterlässt und zum Nachdenken anregt.

Buchprofile – Rezension von Günther Freund

Serhij Zhadan, Keiner wird um etwas bitten, SUHRKAMP, 2025, 165 S., 24,00 €

ISBN/EAN: 9783518432389

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Redaktion

Günther Freund

1944 in Bad Reichenhall geboren, Abitur in Bad Reichenhall, nach dem Studium der Geodäsie in München 3 Jahre Referendarzeit in der Vermessungs- und Flurbereinigungsverwaltung mit Staatsexamen, 12 Jahre Amtsleiterstellverteter am Vermessungsamt Freyung, 3 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Zwiesel und 23 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Freyung (nach Verwaltungsreform mit Vermessungsamt Zwiesel als Aussenstelle). Seit 2009 im Ruhestand, seitdem in Prien am Chiemsee wohnhaft.

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