Brauchtum

Als Chiemgauer vor fast 55 Jahren mit Wastl Fanderl nach Portugal reisten

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Im Sommer kommenden Jahres werden es 55 Jahre, dass sich Chiemgauer Volksmusikanten und Trachtengruppen auf den Weg machten, um beim Internationalen Folklore-Festival im portugiesischen Viana do Castello den Freistaat Bayern zu vertreten. Die Einladung hierzu kam vom damaligen Volksmusikpfleger Bayerns, dem in Frasdorf-Stelzenberg wohnenden Wastl Fanderl. Einige Teilnehmer erinnern sich an die erlebnisreiche und prägende Reise.

 Teilnehmer der bayerischen Delegation waren neben Wastl Fanderl, seiner Frau Lisl und deren Töchter Moni und Liserl die Teisendorfer Tanzlmusik, Fritz und Helmut Mayr vom Bayerischen Rundfunk, aktive Dirndl und Buam des Trachtenvereins „D´Griabinga“ Hohenaschau sowie die Aschauer Sängerinnen mit Gisa Obermaier und Ilse Goßner. Marianne Wörndl als Dritte des Dreigesangs konnte aus beruflichen Gründen nicht mitreisen, dafür übernahm Siegi Ramstötter die zweite Stimme. Die Reise war umfangreich vorbereitet und für heutige Verhältnisse viel Zeit beanspruchend. Allein die Hinfahrt mit der Bahn dauerte drei Tage, da Delegationsleiter Wastl Fanderl eine Anreise mit dem Flugzeug scheute. So bestiegen die 16 Personen mit all ihrem Reisegepäck, mit Harfe und weiteren Instrumenten den Orient-Express in Rosenheim, beim Sonderhalt blieb nur eine Minute Zeit zum Einsteigen. In den Aufzeichnungen von der Anreise heißt es des Weiteren: „Wie damals üblich waren ab München sechs Personen in einem Liegewagen, die wenigsten von uns fanden Schlaf, auch deswegen, weil die Bassgeige zu jedem lauten Schnarcher-Klang sein eigenes Gebrumm dazu gab“. Überhaupt war die Aufbewahrung der Instrumente, besonders, wenn wir wie in Paris tagsüber ein Besichtigungsprogramm hatten, eine Herausforderung. Nach Lösung der Instrumente- und Koffer-Unterbringung wurden die Reisenden in Paris belohnt, sie besichtigten Notre Dame, bestiegen den Eiffel-Turm, erlebten eine Metro-Fahrt, bewunderten die Mona Lisa im Louvre und fuhren spät abends wieder weiter über Spanien nach Portugal. Eine Bahnreise-Anekdote wurde in den Erinnerungen der Aschauer Dirndl noch wie folgt festgehalten: „Als in der vollen Waggonbesetzung eines der Dirndl den Wunsch hatte, die frisch gewaschenen Perlonstrümpfe zu trocknen, hängten sie diese außen ans Fenster, der Trocknungsvorgang währte jedoch nicht lange, denn ein Schnellzug im Gegenverkehr erfasste die guten Stücke und weg waren sie“.

 „Farbenprächtiger, internationaler Trachtenumzug war der Höhepunkt“

In Viana do Castelle erwartete die Chiemgauer neben einem großen und großartigen Programm auch einige Überraschungen beim bunten Gemisch vieler Nationen. Die Unterbringung mit 30 Leuten wäre in einer Turnhalle gewesen, der Lärmpegel war entsprechend, die Waschgelegenheit bestand aus einem Brunnen im Turnhallen-Gang – bis die Chiemgauer eine Kufsteinerin trafen, die nach Portugal geheiratet hatte. „Sie hatte gehört, dass Tiroler aus Bayern kommen, da machte sie sich auf den Weg zum Festival, um zu schauen, ob es Bayern oder Tiroler sind. Als wir uns dann kennenlernten, freute sie sich, dass wir so nahe Kufsteiner Nachbarn waren und sie besorgte uns ein neues Quartier, diesmal passte alles“ – so erinnert sich Gisa Obermaier von den Aschauer Sängerinnen. Das Festival war reich an Auftritten und Erlebnissen, Höhepunkt war ein Festzug, der aus ungezählten Nationen und Folkloregruppen bestand. „Bei einem Weinprobeabend in einem großen Weinkeller dankten wir dem Fanderl Wastl, dass er uns dieses Erlebnis ermöglicht hat, es war und ist bis heute unvergesslich, wir spürten damals förmlich den europäischen Geist und die Kraft des gemeinsamen Musizierens und Tanzens“ – mit diesen Worten erinnert sich Ilse Goßner besonders gerne an eine Reise, die 1966 außergewöhnlich war und in den aktuellen Zeiten gar nicht wiederholt werden könnte.  Beim Blick in das Erinnerungsalbum fallen Gisa Obermaier und Ilse Goßner noch folgende Begebenheiten der Heimreise ein. Einmal erzählten ein paar Buam, dass sie ihren Gamsbart verkauft haben, dazu sagten sie: „Wir hatten schon nicht die Teuersten mitgenommen auf diese Reise, für das, was wir bekommen haben, können wir uns daheim einen guten, neuen Gamsbart kaufen“. Und weil bei der Heimfahrt der gewöhnliche Speisewagen ausfiel, mussten die für Daheim gedachten Spezialitäten herhalten, so wurden Schinken, Brot und Wein verköstigt und die Zahl der Mitbringsel verringerte sich.

Fotos/Repros: Erinnerungen an die Portugalreise der Chiemgauer

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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