Kultur

70 Jahre Verfassungskonvent Herrenchiemsee

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Vor 70 Jahren, im August 1948, wurde auf der Herreninsel in nur vierzehn Tagen die Grundlage des heutigen deutschen Grundgesetzes erarbeitet. „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“, lautet der Artikel 1 des „Chiemseer Entwurfs“. In der Endfassung wurde daraus Artikel 1 Absatz 1 unseres Grundgesetzes. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” Mittlerweile ist diese Garantie auch Europäisches Recht.

Prien/Herrenchiemsee – 1948, in einer Zeit, in der es keine Sicherheiten gab, erhielten die elf Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder seitens der Alliierten mit den „Frankfurter Dokumenten“ den Auftrag, eine demokratische Verfassung, die die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält, zu schaffen und eine föderalistische Regierungsform für die beteiligten Länder zu bilden. Auf Einladung des damaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Hans Ehard tagte vom 10. bis 24. August ein Gremium aus hochrangigen Verfassungsexperten auf der Schlossinsel und schuf damit die Grundlage für das bis heute gültige Grundgesetz. „Das Werk, das von hier seinen Ausgang nehmen soll, wird so vielen großen Aufgaben gerecht werden müssen. Es soll den Grundstein legen nicht nur für die künftige materielle, sondern auch für die geistige Wohlfahrt des deutschen Volkes …“, mit diesen Worten beendete Staatsminister Dr. Anton Pfeifer am Dienstag, 10. August 1948, die Eröffnungsrede zum Verfassungskonvent im Zimmer Nr. 7 des Augustiner Chorherrenstifts, ein begleitendes Zitat bei den Feierlichkeiten zum Jubiläum „70 Jahre Verfassungskonvent Herrenchiemsee“, das die Vereinigung der Freunde von Herrenchiemsee e. V. und die Prien Marketing GmbH im Einvernehmen mit der Bayerischen Schlösserverwaltung und mit tatkräftiger Unterstützung von Schülerinnen und Schülern des Ludwig-Thoma-Gymnasiums Prien (LTG) und der Franziska-Hager-Mittelschule am Samstag, 6. Oktober 2018 mit einem anschaulichen und informativen Programm gestalteten. Den Auftakt bildete eine ökumenische Andacht in der Kirche St. Maria. Anschließend wurden die Besucher und Ehrengäste durch Dr. Friedrich von Daumiller im Bibliothekssaal begrüßt. Der 1. Vorsitzende der Vereinigung der Freunde von Herrnchiemsee hat seine frühe Kindheit – auch im Jahr 1948 – bei seinen Großeltern im „Alten Schloss“ verbracht. Aus dieser Zeit hat Dr. Friedrich von Daumiller nur wenige Erinnerungen – der langjährige Priener Notar zählt aber heute zu den besten Kennern der Herreninsel, was in seiner einführenden Rede deutlich zu spüren war. Voller Stolz überreichte er dem Vorstand der staatlichen Schloss- und Gartenverwaltung Herrenchiemsee Josef Austermayer „als symbolisches Geburtstagsgeschenk“ zum 70-jährigen Jubiläum den lang ersehnten Audio-Guide. Unter der Leitung des Oberstudienrats Andreas Hauptmann hatten die beiden engagierten Schülerinnen des LTGs, Julia Hännes und Vera Mair mit Unterstützung der Experten Dr. Friedrich von Daumiller und Prof. Dr. Manfred Treml, die Texte für den zweisprachigen elektronischen Museumsführer gemeinsam mit Radio Regenbogen ausgearbeitet, dessen Finanzierung die Freunde von Herrenchiemsee übernommen hatten. In einem Zeitalter der weltpolitischen Veränderung, in dem demokratisch gewählte Präsidenten auf dem besten Weg zur Alleinherrschaft sind und der Gruppenegoismus an dem Traum von Freiheit und Gleichberechtigung rüttelt, ist die politische Bildung wichtiger denn je. „Im Gegensatz zu simplen Identifikations- und Abgrenzungsangeboten lebt die Demokratie eigentlich von der Abwägung, der verbalen und gedanklichen Auseinandersetzung, der politischen Debatte – nur so gelangt sie zu Lösungen. Dieser oft mühsame Weg aber erfordert Wissen. Die Bereitschaft, sich der Unbequemlichkeit des Denkens und Abwägens zu unterziehen, und das ist etwas, das man gelernt, zu dem man bereit sein muss.“ Worte aus dem Referat von Dr. Harald Parigger, Direktor der Zentrale für politische Bildungsarbeit, zum Thema „Götter, Völker, Grundgesetz. Einige Gedanken zu einer modernen Werte- und Demokratieerziehung“. In seinem kurzweiligen und sehr eindringlichen Vortrag appellierte Parigger an eine fächerübergreifende Bildung an Schulen, um wertorientierte Kompetenzen zu vermitteln – die Summe dieser Fähigkeiten soll im Idealfall ein Reifezeugnis für das Leben in der Demokratie geben. Im Anschluss konnte man sich vor dem Augustiner Chorherrenstift spielerisch an den interaktiven Stationen, organisiert von den Schülerinnen und Schülern des LTGs, mit dem Thema „Demokratie und Verfassungskonvent“ beschäftigen. „Welcher der folgenden Punkte lag den Vätern unserer Verfassung besonders am Herzen? – Tourismus, Föderalismus oder Kommunismus“ – auch das Wissen der Besucher wurde auf die Probe gestellt: die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10 M der Franziska-Hager-Mittelschule hatten ein Verfassungskunde-Quiz mit sechs Fragen ausgearbeitet, bei dem es gegen Ende der Veranstaltung jede Menge Preise zu gewinnen gab. Vorab konnte man sich umfangreich bei Führungen durch das Augustiner Chorherrenstift mit den Museumsführern oder den neuen Audio-Guides informieren und neben dem Verfassungszimmer, dem ehemaligen Speisezimmer von König Ludwig II., zahlreiche erhaltene Dokumente und Objekte aus der damaligen deutschen Nachkriegsgeschichte besichtigen. Am frühen Nachmittag hielt Prof. Dr. Manfred Treml, der zum 50sten Jubiläum das Verfassungsmuseum konzipiert und eingerichtet hat, den Festvortrag „Herrenchiemsee als demokratischer Erinnerungsort“ in der Schlosswirtschaft Herrenchiemsee. Der frühere Direktor des Museumspädagogischen Zentrums in München hob in seiner Rede die Notwendigkeit hervor, ein fundiertes Geschichtsbewusstsein zu vermitteln, um das Konstrukt Erinnerungsort Herrenchiemsee in dem kollektiven Gedächtnis zu festigen. „Das Prinzip des Föderalismus, dass unabdingbar mit unserem Grundgesetz verankert ist und die verfassungsrechtliche Stellung der Grundrechte mit der alles überwölbenden Würde des Menschen, müsste ausreichen, Stoff zur Identifikation und für anregende historisch politische Bildung zu bieten. Mit Bürgernähe und jugendlichem Elan, mit Schulen, Bildungseinrichtungen und Vereinen könnte es gelingen, ein kleines Quäntchen Verfassungspatriotismus wieder salonfähig zu machen und vielleicht die Vision eines europäischen Bildungs- und Begegnungszentrums Herrenchiemsee zum Föderalismus in Europa am Horizont aufscheinen zu lassen.“ so Prof. Dr. Manfred Treml abschließend. Für die musikalische Feststimmung sorgte die Band „Brassmatiker – Das Deutsche Ärzteblech“.

Hinweis: Auf Anfrage wird von der Prien Marketing GmbH die Gruppenführung „Verfassungsinsel Herrenchiemsee“ im Museum des Augustiner-Chorherrenstifts angeboten. Die Teilnehmer begeben sich mit Gästeführern auf eine Zeitreise in eines der wichtigsten und hoffnungsvollsten Kapitel der modernen Demokratiegeschichte in Deutschland. Buchbar im Tourismusbüro Prien.

Bildrechte: Prien Marketing GmbH

Bildunterschrift: Referat von Dr. Harald Parigger, Direktor der Zentrale für politische Bildungsarbeit, zum Thema „Götter, Völker, Grundgesetz. Einige Gedanken zu einer modernen Werte- und Demokratieerziehung“ im voll besetzten Bibliothekssaal.

Bildunterschrift: Audio-Guides als Jubiläumsgeschenk an die Schlösserverwaltung – Dr. Friedrich von Daumiller, 1. Vorsitzender der Vereinigung der Freunde von Herrnchiemsee bedankt sich für die gute Zusammenarbeit bei Oberstudienrat Andreas Hauptmann und den beiden Abiturientinnen des LTGs, Vera Mair und Julia Hännes.

Weitere Informationen sind im Tourismusbüro Prien, Alte Rathausstraße 11 unter Telefon +49 8051 6905-0 oder info@tourismus.prien.de sowie im Internet unter www.tourismus.prien.de erhältlich

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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